Auf die Seite von Aserbaidschan gestellt - Das russische Auslandsradio und die Karabach-Armenier

Waffenstillstand in Karabach 2020
Blau = Gebiet des sowjetischen Nagorny Karabach; grün = Rückzug Armeniens, rot = Latschin-Korridor. | © Andeolus Muriel, CC-BY-SA

Bei den staatlichen russischen Auslandsmedien gibt es eine bemerkenswerte Entscheidung zur Distributionspolitik. Wenn man Eigenmächtigkeiten ausschließt, signalisiert sie eine Zäsur: Russland ist keine Schutzmacht der christlichen Glaubensbrüder in Armenien und Aserbaidschan mehr.

Der Vorgang liegt im Verantwortungsbereich der seit 2014 aktiven, mit der altbekannten Marke Sputnik arbeitenden Struktur Rossija Segodnja. Sie trat an die Stelle unter anderem der Stimme Russlands (früher Radio Moskau), deren journalistischer Hintergrund nicht mehr opportun war.

Unlängst wurde die UKW-Ausstrahlung von Radio Sputnik im zu Aserbaidschan gehörenden Teil von Karabach eingestellt. Das sorgte offensichtlich für Verwunderung unter Abgeordneten der Staatsduma, die deshalb eine Anfrage an Dmitri Kisseljow, den Generaldirektor von Rossija Segodnja, richteten.

Kisseljow verwies auf Äußerungen des armenischen Premierministers Paschinjan: Man sei nunmehr bereit, die territoriale Integrität von Aserbaidschan anzuerkennen und die Grenze auf dem Stand von 1991 zu bestätigen. Deshalb könne Radio Sputnik in Stepanakert nicht weiter ohne aserbaidschanische Lizenz gesendet werden.

Im vergangenen Mai äußerte sich Paschinjan in der Tat in dieser Weise. Das war allerdings vor der jüngsten Eskalation durch die aserbaidschanische Seite.

2020 hatte sich das armenische Militär im Rahmen eines von Russland vermittelten Waffenstillstands bereits aus den Gebieten zurückgezogen, die zwar ebenfalls von Armeniern bewohnt werden, jedoch nicht zum einstigen Autonomen Bezirk Nagorny Karabach gehörten.

Dorthin sollte der nach einer Stadt benannte Latschin-Korridor aus Armenien offengehalten werden. Seit Juli wird diese Straße durch Aserbaidschan blockiert. Beobachter sprechen inzwischen von einem Genozid.

Unmittelbar nachvollziehen lassen sich Berichte, laut denen auch die Anbindung an das Internet unterbrochen ist: Die Onlinepräsenz des Rundfunksenders in Stepanakert, Artsakh.tv, ist nicht erreichbar.

Überregional wahrnehmbar bleibt damit, sofern es sie noch gibt, eine Zulieferung an Radio Armenien. Sie läuft in der Mittelwellensendung, die in einer Zwitterrolle sowohl für ethnische Minderheiten in Armenien als auch für das angrenzende Ausland bestimmt ist.

Die Übertragung kommt auf 1395 kHz von 18.00 bis 19.30 Uhr, außerhalb der Sommerzeit aus hiesiger Sicht eine Stunde früher. Neben eigenen Sendungen in Aserbaidschanisch, Persisch, Türkisch und Kurdisch sollen hier zwischen 19.15 und 19.30 Uhr (bzw. 18.15-18.30 Uhr) diese Produzenten vertreten sein.

Ethnien in Armenien und Aserbaidschan
Armenier = hellgrün, Aserbaidschaner = hellblau, Talyschen = gelb mit Schraffur. | © Sammlung University of Texas

Diese „Stimme von Talyschistan“ hat allerdings nichts mit Karabach und den Armeniern zu tun, sondern mit den Talyschen. Im von dieser Volksgruppe bewohnten Südostzipfel Aserbaidschans war 1993 eine autonome Republik ausgerufen, jedoch schnell wieder zerschlagen worden.

2013 erschienen die Sendungen zunächst auf einem Kurzwellen-Kleinsender in Stepanakert. Als dessen Betrieb wenig später endete (zufälligerweise mehr oder weniger zeitgleich mit den sonstigen AM-Sendungen in Aserbaidschan), wurde als Ersatz die Übernahme in Jerewan organisiert.

Seinerzeit behaupteten aserbaidschanische Medien, die Sprecher der „Stimme der Talyschen“ seien an ihrem Akzent als Iraner zu erkennen. Das wies die iranische Botschaft in Baku zurück und erklärte, die Islamische Republik habe nichts mit diesen Sendungen zu tun.

Obwohl Aserbaidschan islamisch geprägt, gibt es erhebliche Spannungen mit dem Iran. Um das zu erkennen, brauchte man zumindest im vergangenen Jahrzehnt in Baku nur das Radio einzuschalten: Die vom iranischen Rundfunk für den postsowjetischen Raum genutzte Mittelwelle 702 kHz wurde oder wird dort gezielt blockiert.

 

Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 10.09.2023