Wissenschaft - Der öffentlich-rechtliche Rundfunk - politisch ziemlich einseitig?

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"Links-grün versifft", "thematisch einseitig", "staatsgeleitet": All diese Attribute werden dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hin und wieder zugeschrieben. Doch was stimmt daran? Ist die Berichterstattung wirklich politisch zu einseitig? Schließlich heißt es laut Medienstaatsvertrag, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen soll. Ob und inwieweit das die Redaktionen schaffen und umsetzen und wo noch Verbesserungsbedarf besteht, erklärt uns Dr. Pablo Jost, Kommunikationswissenschaftler an der Johannes Gutenberg Universität Mainz.

Was genau wollten Sie da rausfinden?

Dr. Pablo Jost: Naja, uns hat eben genau die Frage umgetrieben, inwieweit sich denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk entsprechend seines Auftrages, nämlich einer vielfältigen und ausgewogenen Berichterstattung, so verhält. Das heißt, uns hat eben interessiert, inwieweit bestimmte Akteure zu Wort kommen, wer zum Sprechen sozusagen befähigt wird und über welche Themen berichtet wird und wie man sich anhand von gesellschaftlichen Grundpositionen denn so ausrichtet. Das heißt, was bekommen die Leute eigentlich zu hören und zu sehen, wenn sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einschalten.

Ist ja wahrscheinlich gar nicht so einfach. Wie haben Sie das gemacht? Welche Methode haben Sie angewandt?

Dr. Pablo Jost: Wir haben da eine quantitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Das ist eine in der Kommunikationswissenschaft sehr verbreitete Methode, indem man eben nach einem standardisierten Codier-Schema geschulte Codierer*innen Inhalte codieren lässt, um dann zu möglichst objektiven oder besser gesagt intersubjektiv nachvollziehbaren Einschätzungen über den Inhalt der entsprechenden Beiträge zu kommen.

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Sie haben dann aber nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk untersucht, richtig?

Dr. Pablo Jost: Das ist korrekt. Wir haben uns da Vergleichsmedien, insgesamt 38 Stück, zum Vergleich eben herangezogen, haben versucht, da ein sehr möglichst breites politisches Spektrum abzudecken. Das heißt, wir hatten sogenannte Extremmedien ebenso dabei wie Printjournalismus oder auch Nachrichtenformate privatwirtschaftlicher Anbieter. Und die Idee ist einfach, dass man per se erstmal nicht sagen kann, was denn das optimale Maß an Vielfalt ist oder wann auch mal das Vielfaltsgebot und Ausgewogenheitsgebot eben verlassen werden kann. Stellen Sie sich vor, es gibt einen Angriffskrieg und ich würde quasi ausgewogen über Aggressor und sozusagen angegriffenen Staat berichten. Das wäre vielleicht unangebracht. Aber da wir diese Entscheidung nicht selber fällen wollten, wann denn jetzt Ausgewogenheit und Vielfalt in welchem Maße angebracht ist, bietet sich eben der Vergleich mit dem möglichst breiten Vergleichs-Sample an Medien an.

Wir haben ein sehr starkes Übergewicht politischer Akteure, das ist das eine. Und wir haben auch, was die Themenvielfalt angeht, prinzipiell erst mal eine sehr, sehr hohe Themenvielfalt."

Dr. Pablo Jost

Da kann man also sehen, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Durchschnitt aller Medienanbieter von irgendwas abweicht, richtig?

Dr. Pablo Jost: Exakt.

Dann schließen Sie mal los. Das ist ja ein bisschen wie Zeugnisse kriegen. Ich habe ein bisschen feuchte Hände, ehrlich gesagt. Was ist rausgekommen?

Dr. Pablo Jost: Keine Sorge, Sie sind nicht sitzen geblieben, das kann ich schon mal sagen. Also der Punkt ist eben, wenn wir uns anschauen, welche Akteure beispielsweise zu Wort kommen, dann sehen wir, dass generell alle Angebote von einer sehr, sehr hohen Akteursvielfalt geprägt sind erst mal. Aber, wir sehen durchaus, dass es einen sehr starken Fokus auf politische Akteure gibt, die dann eher zu Wort kommen und die auch eher als Akteure behandelt werden, während bestimmte, man könnte sagen marginalisierte Gruppen oder gesellschaftliche Randgruppen, wie beispielsweise armutsbetroffene Menschen mit besonderen Bedürfnissen, aber auch Migranten, sehr, sehr selten vorkommen. Das heißt, wir haben ein sehr starkes Übergewicht politischer Akteure, das ist das eine. Und wir haben auch, was die Themenvielfalt angeht, prinzipiell erst mal eine sehr, sehr hohe Themenvielfalt. Wir sehen aber auch, dass besonders wirtschaftspolitische Aspekte in den Vordergrund rücken. Man darf jetzt auch nicht vergessen, wir haben das während des sogenannten GEGs, des Gebäude-Energie-Gesetzes, untersucht. In dem Zeitraum war das natürlich ein sehr präsentes Thema.

Wenn also marginalisierte Gruppen zu wenig zu Wort kommen, sagen wir es mal so, dann ist das doch so, dass das ja eigentlich eine Forderung der linksgrünen Politik sein sollte, dass sie dort mehr reden. Das heißt, wir haben zu wenig Linksgrün.

Dr. Pablo Jost: Das kann man so nicht sagen. Also es ist natürlich immer eine Frage, das kommt zu dem Punkt von vorher, was ist denn eigentlich ausgewogen. Natürlich haben wir uns Nachrichtenformate angeschaut und natürlich möchte ich in den Nachrichtenformaten auch gerne wissen und transportiert bekommen, welche politischen Entscheidungen jetzt tatsächlich in Berlin oder anderswo getroffen werden. Das heißt, es ist ganz natürlich, dass es einen gewissen Fokus gibt. Man darf aber halt nicht vergessen, dass das eben dazu führt, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen und auch deren Positionen vielleicht weniger stark wahrgenommen werden. Aber entscheidender war für uns jetzt, wenn wir sagen, wir wollen die politische Berichterstattung eben ansehen, dann das Verhältnis, wie kommen denn eigentlich die Parteiakteure beispielsweise zu Wort. Und da sehen wir, dass es wie auch häufig in anderen Untersuchungen einen eher starken Fokus auf die Regierungsparteien gibt. Das sind die, die politischen Entscheidungen treffen und dann eben die Union als größte Oppositionspartei. Und während jetzt die anderen beiden Oppositionsparteien quasi nicht vorkommen oder sehr, sehr selten vorkommen in der Berichterstattung.

Kritisieren Sie das?

Dr. Pablo Jost: Ja, also ich glaube, es ist wie gesagt relativ normal, dass bestimmte politische Entscheidungen, wenn sie denn getroffen werden, auch transportiert werden. Und wenn das beispielsweise über das Gebäude-Energie-Gesetz geht, dann ist es ja auch relativ, ja sagen wir so, gegeben, dass ich dann eben die entsprechenden Verantwortlichen dann auch in der Berichterstattung behandle und deren Verhalten eben beleuchte. Das heißt per se ist das erstmal nichts Verwerfliches, wenn es da Unterschiede gibt. Wir sehen das eben, wie gesagt, auch andersrum, wenn die Union an der Regierung ist, dann wird eben über die mehr berichtet.

Sie reihen sich mit dem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformat grundsätzlich wirklich mitten in einem sehr, sehr von Pluralismus geprägten Mediensystem ein."

Dr. Pablo Jost

Es soll ja Menschen geben, die glauben tatsächlich, die Bundesregierung diktiere uns jeden Tag, was wir zu sagen hätten. Früher haben wir uns dann immer lustig gemacht und gesagt, hat Merkel heute schon angerufen, jetzt ist es Olaf Scholz. Sind wir zu unkritisch gegenüber den Regierungen?

Dr. Pablo Jost: Also vielleicht, um das nochmal einzuordnen. Sie reihen sich mit dem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformat grundsätzlich wirklich mitten in einem sehr, sehr von Pluralismus geprägten Mediensystem ein. Das heißt, dass die jetzt eine besondere Staatsnähe oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine besondere Staatsnähe hätte, das sieht man so in der Berichterstattung erstmal nicht. Was wir durchaus sehen, ist, das hat uns auch etwas verwundert, erstmal werden alle Parteien sehr, sehr negativ dargestellt. Das heißt, es gibt keine Partei, die von irgendeinem Medium als positiv dargestellt wird. Das heißt erstmal, da wäre dann Ihr Auftrag, wenn sie von der Regierung bezahlt würden, nicht gut erfüllt worden, wenn man das mal so formulieren möchte. Wir sehen im Grunde genommen eine sehr negative Darstellung. Da kann man sich natürlich auch fragen, was bedeutet das eigentlich, wenn Politik sozusagen und politische Akteure immer in einem negativen Kontext beschrieben werden. Was macht das mit den Menschen? Verlieren wir unter Umständen den Glauben an die Lösungsfähigkeit? Und das wären Problemlösungskompetenz von politischen Akteuren und da wäre natürlich die Frage, inwieweit es da nicht auch Platz gibt, dass ein oder andere mal etwas konstruktiver zu sein. Wobei das auch wieder nichts Ungewöhnliches ist.

Nicht alles schlecht reden, das nehme ich da mal mit. Und am Ende natürlich die wichtige Frage, wer hat diese Studie finanziert: ZDF oder ARD?

Dr. Pablo Jost: Wir haben diese Studie tatsächlich über universitäre Eigenmittel finanziert und wurden aber freundlicherweise von der Stiftung Mercator bei diesem Vorhaben unterstützt, also keine Regierungsbeteiligung.

Das Interview führte Stephan Karkowsky in "Die Profis".

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