Wir führen ein selbstbestimmtes Leben, aber über unseren Tod entscheiden wir in den meisten Fällen nicht selbst. Dabei hätten wir das Recht darauf - und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit. Denn der Tod ist Privatsache. Und er gehört (leider) zum Leben dazu.

 

2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren."

 

Gleichzeitig wurde das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt. Demnach konnte sich strafbar machen, wer geschäftsmäßig die Selbsttötung eines anderen fördert. Als geschäftsmäßig galt ein auf Wiederholung angelegtes Handeln, auf ein kommerzielles Interesse kam es hierbei nicht an. Sterbehilfevereine, schwerkranke Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte hatten dagegen geklagt.

 

Jetzt sind die Dienste von Vereinen für begleitete Selbsttötung in Deutschland zulässig und nicht strafbar. Derzeit gibt es drei Vereine in Deutschland, die eine Freitodbegleitung gegen Geld anbieten. Dabei ist ein assistierter Suizid gemeint, etwa die Bereitstellung bestimmter Medikamente, die zum Tod führen und die Betroffene dann selbst einnehmen. Die Handlungshoheit liegt also bei den Patienten. Die Tötung auf Verlangen, also zum Beispiel die Verabreichung tödlicher Medikamente durch die aktive Handlung einer außenstehenden Person, ist weiterhin strafbar.

 

 


Wie regeln wir selbstbestimmtes Sterben?

Gespräch mit Prof. Claudia Bausewein

Download (mp3, 5 MB)

Der Bundestag muss die Sterbehilfe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neu regeln und eine gesetzliche Lösung finden, die einerseits die Autonomie des Einzelnen gewährleistet und andererseits das Leben schützt. Drei Gesetzesentwürfe gibt es dafür, die in einer ersten Bundestagslesung schon diskutiert wurden. Eigentlich soll bis zur Sommerpause über die Neuregelung der Sterbehilfe abgestimmt werden.

 

Allerdings gibt es auch Kritik an einer gesetzlichen Neuregelung der Sterbehilfe, etwa von der Deutschen Stiftung Patientenschutz, die Sterbehilfevereine ablehnt, weil sie die Autonomie in Gefahr sehen, wenn Geld für die Sterbebegleitung fließt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin lehnt die drei aktuellen Gesetzesentwürfe ab und bezieht sich dabei darauf, dass auch das Unterlassen bestimmter Therapien im Krankheitsfall eine ethisch verantwortungsvolle Handlungsweise sein kann. Darum sei es wichtig, die Angebote in der Suizidprävention und in der Hospiz- und Palliativversorgung auszubauen.

 

"Am Lebensende - wie wollen wir sterben?" unter diesem Titel sprechen wir am 9. Juni in "Die Weber" mit Katja Weber über ein so schwieriges wie individuelles Thema, bei dem es viele moralische Bedenken, unterschiedliche ethische Sichtweisen und verschiedene politische Ansätze gibt.

 

Wir möchten Ihre Meinung dazu hören: Was sagt Ihr moralischer Kompass? Befürworten Sie eine gesetzliche Regelung oder begrüßen Sie die aktuell herrschende rechtliche Grauzone? Wie sehen Sie die Arbeit von Sterbehilfevereinen? Wie stehen Sie zu ihrem eigenen Tod? Haben Sie zum Beispiel eine Patientenverfügung und wenn ja, was haben Sie dort verfügt? Oder haben Sie vielleicht einen nahestehenden Menschen in den Tod begleitet, bzw. ihm dabei geholfen, einen assistierten Suizid in Anspruch nehmen zu können?

 

Ihre Erfahrungen und ihre Meinung können Sie uns auch jetzt schon auf den Anrufbeantworter sprechen unter 0331 70 99 555 oder per Mail an dieweber@radioeins.de schicken. Und wenn Sie ein eigenes Thema haben, von dem Sie denken: "Das muss doch mal diskutiert werden!" Dann auch immer her damit!


Anmerkung zur Berichterstattung über Selbsttötungen:

 

Üblicherweise berichtet radioeins nicht über Suizide. Wir orientieren uns dabei am Pressekodex: Demnach gebietet die Berichterstattung über Suizide Zurückhaltung: "Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt."

 

Ein weiterer Grund für unsere Zurückhaltung ist die erhöhte Nachahmerquote nach Berichterstattung über Selbsttötungen.

 

Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner. Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222

 

Links:

www.telefonseelsorge.de

 

www.frans-hilft.de


Die drei Gesetzesentwürfe

· Eine Gruppe von 85 Abgeordneten aus Reihen aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) sieht ein grundsätzliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe mit Ausnahmen vor. Verstöße sollen mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden können. Nicht rechtswidrig ist die geschäftsmäßige Sterbehilfe danach, wenn bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich Beratungspflichten und Wartezeiten erfüllt sind. Konkret sollen Sterbewillige im Regelfall mindestens zwei Untersuchungen durch Fachärztinnen beziehungsweise Fachärzte für Psychiatrie oder Psychotherapie sowie mindestens eine weitere Beratung absolvieren. Zudem ist ein Verbot für die Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung vorgesehen.


· Die Entwürfe der Gruppe um 68 Abgeordnete aus den Reihen von SPD, Grünen, FDP und Linken um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP) will ein "Gesetz zur Wahrung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende (Suizidhilfegesetz)" verabschieden. Danach sollen sich Sterbewillige durch einen Arzt beziehungsweise Ärztin nach Aufklärung ein tödlich wirkendes Medikament verschreiben lassen dürfen. Voraussetzung dafür ist unter anderem eine Beratung durch eine staatlich anerkannte Beratungsstelle, deren Ausgestaltung ebenfalls in dem Entwurf geregelt wird. Festgeschrieben werden soll auch, dass Dritte ein Recht haben, Menschen, die ihr Leben beenden wollen, Hilfe zu leisten und sie bis zum Eintritt des Todes zu begleiten. Zudem soll niemand aufgrund seiner oder ihrer Berufszugehörigkeit untersagt werden dürfen, diese Hilfe beziehungsweise Begleitung zu leisten


· Eine Gruppe von 45 Abgeordneten aus den Reihen von SPD und Grünen (20/2293) um die Abgeordnete Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) sieht ein "Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben" vor. In diesem wird verfahrenstechnisch zwischen Sterbewilligen in einer medizinischen Notlage und jenen, die sich nicht in einer medizinischen Notlage befinden, unterschieden. Im ersteren Fall sollen ebenfalls Ärztinnen oder Ärzte für die Verschreibung als auch für die Beratung zuständig sein. In das Verfahren sollen im Regelfall zwei Ärztinnen beziehungsweise Ärzte involviert werden. Im letzteren Fall soll der Sterbewillige seinen Sterbewunsch glaubhaft darlegen und einen Antrag bei einer vom jeweiligen Land zu bestimmenden Stelle stellen. Weitere Voraussetzung ist unter anderem eine zweimalige Beratung in einer unabhängigen, staatlich zugelassenen Beratungsstelle. Der Entwurf sieht zudem Regelung für das Wirken von Hilfsanbietern vor, etwa zur Abgabe der tödlich wirkenden Medikamente an diese Hilfsanbieter. Für Hilfsanbieter ist eine Zulassung erforderlich. Der Entwurf sieht ferner strafrechtliche Regelungen vor. Danach soll mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für andere oder zum Missbrauch für Straftaten eine Bescheinigung für die Abgabe des Betäubungsmittels zu erhalten.


Die Gruppe Künast und die Gruppe Helling-Plahr, die im Bundestag für eine liberale Regelung des assistierten Suizids eintreten, wollen sich für einen gemeinsamen Antrag zusammenschließen. So solle verhindert werden, dass sich der Vorschlag der Gruppe Castellucci durchsetzt, der organisierte Hilfe beim Suizid grundsätzlich unter Strafe stellen und nur in Ausnahmen erlauben will.

Die Weber
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Freitags | 10-13 Uhr - Die Weber

In unserer unendlich komplexen Welt wissen alle Bescheid und sagen gern ungefragt, wo's langgeht. Wo man hinschaut, überall und zu allem gibt es Expertinnen und Experten. Millionen Menschen sind die besseren Fußballtrainer, Paartherapeuten und Politikauskennerinnen. Nur Sie hat mal wieder keiner gefragt! Dabei sind Sie bestimmt auch ein Profi in einer ganz besonderen Disziplin des Alltags.