Unternehmenskultur und Prioritäten - Auflösung der BBC Singers zieht Kreise

Unless I have looked in the wrong place, the annual budget for the BBC Singers is £1,800,000. Gary Lineker was paid £1,350,000 in 2021. Priorities?
© @MarkElliottSmi1

Im Schatten des beispiellosen Eigentors, das sich die BBC mit der Suspendierung des Sportreporters Gary Lineker geschossen hat, stehen die angekündigten Einschnitte bei ihren Klangkörpern, darunter die völlige Auflösung des Chores. Dabei sehen Kulturfreunde durchaus einen direkten Zusammenhang.

Bereits 2022 thematisiert wurde die Höhe der Honorare, die Lineker von der BBC erhält: Mit damaligem Stand jährlich 1,35 Millionen Pfund (entspricht 1,54 Mio. Euro), vier Jahre zuvor sogar 1,75 Millionen Pfund (volle zwei Millionen Euro).

Es ist der Vergleich mit den BBC Singers, der zeigt, wie hier jedes Maß verlorengegangen ist: Allein für diesen einen Star wendet die BBC fast so viel Geld auf wie insgesamt für den Chor, dessen Budget sich auf 1,8 Millionen Pfund beläuft.

BBC Singers
Archivbild: BBC Singers in den Maida-Vale-Studios | © VocalEssence Ensemble Singers, CC

Bekannt ist inzwischen ein Brandbrief der Chorleitung an den Rundfunkrat der BBC. Wie es darin heißt, sehe man sich zu diesem Schritt gezwungen, da die zuständige Direktorin Musik, Lorna Clarke, unmittelbar nach Bekanntgabe der Auflösung in den Urlaub abgereist sei.

Das Schreiben konstatiert eine „toxische Kultur“ in der BBC, „vom Generaldirektor abwärts“. Die eigenen Erfahrungen einer „aggressiven und konfrontativen“ Gesprächsführung seitens Clarke würden immer wieder durch Erzählungen anderer Kollegen bestätigt.

Es sei eine „Kultur von Angst und Paranoia“ geschaffen worden, indem schwerwiegende Entscheidungen kurzerhand, „ohne jede seriöse Analyse oder sinnvolle Beratungen“, getroffen werden.

Die Direktorin Clarke habe genau einmal ein Konzert aufgesucht, in dem die BBC Singers mitwirkten. Ansonsten sei der angeschriebene Rundfunkratsvorsitzende Sharp das einzige Mitglied der Senderführung, dem der Chor überhaupt ein Begriff ist.

Niemand von denen, die bei der Entscheidung zur Abwicklung mitwirkten, habe jemals einen Auftritt oder die Probe- und Aufnahmearbeit besucht. Das gelte ausdrücklich auch für die Verfasserin der Studie, mit der die Auflösung des Chores gerechtfertigt wird.

Die dazu veröffentlichte Pressemitteilung sei „eine krasse Peinlichkeit“. Es sei „atemberaubend“, wie die BBC glaube, mit dieser Art von Kommunikation „irgendetwas anderes zu erreichen als die schwierige Lage, in der Sie sich jetzt wiederfinden“.

Der Vorschlag zur Auflösung sei zunächst den Führungskräften des Hörfunks mitgeteilt worden. Der Programmchef von Radio 4 habe davon am Rande „einer externen Veranstaltung in Deutschland im Oktober“ weiteren Mitarbeitern erzählt.

Die danach zur Rede gestellte Direktorin Clarke habe alles abgestritten und von einer „Verwechslung“ gesprochen. Jetzt sei sie nicht in der Lage, überhaupt den Betrag zu nennen, der mit Abwicklung der BBC Singers und Stellenabbau in den Orchestern eingespart wird.

Der Brandbrief schließt mit den Worten, man sei „schockiert“ von den Ereignissen der letzten Monate, die mit den grundlegenden Werten der BBC nicht vereinbar seien. Man habe „kein Vertrauen in das Leitungsteam der BBC“ und sehe den Vorsitzenden des Rundfunkrats in der Pflicht, „die Verantwortung für die Krise, in der wir uns jetzt befinden, zu übernehmen“.

Stand vom 17.03.2023



Bericht vom 11. März 2023:

Die Pressemitteilung der BBC mutet orwellianisch an. Das beginnt bereits bei der Überschrift: „Neue Strategie für klassische Musik priorisiert Qualität, Agilität und Impact.“

Inzwischen ist auch etwas mehr bekannt als das, was in dieser Aussendung zwischen den Zeilen steht. So steckt hinter dem angekündigten Abbau von einem Fünftel der Stellen bei den BBC-Orchestern in England wohl die noch nicht offen ausgesprochene Absicht, das Sinfonie- und Konzertorchester in London zusammenzulegen.

Der Chor soll seine Tätigkeit bereits in der ersten Julihälfte einstellen. Nach Einschätzung von Beobachtern geht es bei dieser schnellen Abwicklung darum, eine nochmalige, womöglich von Protestbekundungen begleitete Mitwirkung bei den Proms-Konzerten zu verhindern.

Untergebracht sind die BBC Singers in den Musikstudios im Stadtteil Maida Vale. Diesem 1946 eingerichteten Standort ergeht es nicht anders als dem Ensemble: Er wird geschlossen.

Zur Einordnung dieses Vorgehens ist es nicht erforderlich, erneut das Funkhaus in der Berliner Nalepastraße zu bemühen, da es dafür auch ein aktuelles Beispiel gibt: In Moskau.

Die Trennung von Klangkörpern wiederum ist bereits im deutschsprachigen Europa ein akutes Thema. Zur Disposition steht das Radio-Symphonieorchester des ORF.

Dazu führt nicht erst der aktuelle Druck, 300 Millionen Euro bis 2026 einzusparen: Eine Ausgliederung des Orchesters war schon einmal geplant.

Unterdessen eskaliert die Diskussion über die Frage, wie es um die Unabhängigkeit der BBC steht. Ein Thema ist die Entscheidung, einen Film von David Attenborough, der wirksame Maßnahmen zum Umweltschutz fordert, nicht im linearen Programm auszustrahlen, sondern nur in der Mediathek bereitzustellen.

Völlig entglitten ist der BBC der Fall des Sportreporters Gary Lineker. Dieser war für die private Äußerung einer politischen Meinung kritisiert worden und lehnte es ab, den entsprechenden Tweet zu löschen.

Deshalb zog ihn die BBC von der Moderation ihrer Fußballsendung am 11. März ab und löste damit eine unvermutete Kettenreaktion aus: Alle anderen in Betracht kommenden Moderatoren, Studiogäste und Interviewpartner waren zu keiner Mitwirkung bereit.

Damit gab es keine Möglichkeit mehr, Studioteile und Kommentierung zu produzieren. Der BBC blieb nur noch, eine auf 20 Minuten gekürzte Sendung zu präsentieren, die lediglich unkommentiertes Bildmaterial mit Originalton enthielt.

 

Beitrag von Kai Ludwig