Die Literaturagenten - "Das Buch Anderswo" - Interview mit China Miéville und Keanu Reeves
Die meisten kennen Keanu Reeves als Schauspieler - z.B. als "Neo" im Film "Matrix". Keanu Reeves ist aber auch Autor der erfolgreichen Comicserie "BRZRKR". Und jetzt hat er seinen ersten Roman geschrieben - gemeinsam mit dem britischen Fantasy-Schriftsteller China Miéville.
"Das Buch Anderswo" erzählt die Geschichte des achtzigtausend Jahre alten unverwundbaren Kriegers B.. Wenn der Krieger wütend wird, fahren ihm blaue Blitze aus den Augen und er verliert sich in einem Blutrausch. Seine Faust kann durch die Brust eines anderen Menschen schlagen. Und jedes Mal, wenn er tödlich verletzt wird, ersteht er wieder auf.
Literaturagentin Marie Kaiser hat mit Keanu Reeves und China Miéville gesprochen - über Unsterblichkeit, das Altern und die Freude am Splatter.
Marie Kaiser: Der Krieger B. ist 80.000 Jahre alt. Er kann sterben, aber hat die Fähigkeit immer wieder aufzuerstehen, wieder neu aus dem Ei zu schlüpfen. Diese Figuren der Unsterblichen kennen Sie sehr gut aus ihren eigenen Filmrollen wie Neo in Matrix. Was reizt Sie daran besonders?
Keanu Reeves: Was mir an unsterblichen Figuren gefällt, ist, dass sie eine einzigartige Perspektive haben, die Sterbliche so einfach nicht einnehmen können. Was macht das mit einer Person, wenn man ihr die Aussicht auf ein Ende wegnimmt. Was bedeutet das für die Gedanken und Standpunkte dieser Person? Der Krieger B. hat in 80.000 Jahren außerdem eine Menge Lebenserfahrung angesammelt. Und deswegen finde ich diese unsterblichen Figuren besonders spannend fürs Geschichtenerzählen.
Marie Kaiser: China Miéville, was war Ihre erste Reaktion, als Sie gehört haben, dass Keanu Reeves einen Roman mit Ihnen schreiben will?
China Miéville: Meine erste Reaktion war: verblüffte Freude. Ich war sehr, sehr glücklich und gerührt, denn Keanus Arbeit hat mir schon lange viel bedeutet. Das ist natürlich eine große Ehre, wenn jemand, dessen eigene Arbeit man mag, etwas in der eigenen Arbeit gefunden hat, was ihm gefällt. Aber sehr schnell kam auch ein Gefühl der Angst dazu. Eine Art glückliche Angst. Denn es war mir wichtig, herauszufinden, ob das wirklich funktioniert. Das Schlimmste auf der Welt wäre: ja zu sagen und dann festzustellen, dass man doch nicht der Richtige dafür ist. Und so kam zu der Freude auch das Gefühl dazu, dass wir es auch unbedingt richtig machen müssen.
Marie Kaiser: Und warum wollten Sie, Keanu Reeves, den Roman unbedingt gemeinsam mit China Miéville schreiben?
Keanu Reeves: Ich habe das, was ich von China gelesen hatte, einfach nur geliebt. Wie er mit dem Fantastischen arbeitet. Wie realistisch seine Charaktere sind! Ich habe sofort gedacht, wenn dieses außergewöhnliche Talent die Figur des Berzerker noch einmal neu beleuchten könnte, wäre das absolut fantastisch.
Marie Kaiser: Schauen wir uns diesen Krieger B. noch einmal genauer an. Er ist nicht wirklich unsterblich, sondern stirbt viele Male, wird immer wiedergeboren. Er verzweifelt daran irgendwann, nicht wirklich sterben zu können. Unsere Gesellschaft ist auf der verzweifelten Suche nach Unsterblichkeit. Alle reden über Longevitiy. Hat auch das für Sie beim Schreiben des Buchs eine Rolle gespielt? Dem Helden Ihres Buches gelingt es immerhin nicht, die eigene Unsterblichkeit zu genießen!
China Miéville: Sie sprechen da etwas Wichtiges an. Denn oft passiert es, dass der Krieger B. als Figur beschrieben wird, die unbedingt sterben will, und das ist ganz falsch. Es ist wie Sie sagen: Er ist ein Unsterblicher, der sterblich sein will, aber deswegen nicht unbedingt sofort sterben will. Und ich denke, das ist eine sehr wichtige Unterscheidung, denn es geht nicht darum, das B. des Lebens überdrüssig ist. Uns ging es um ganz andere Fragen. Wenn das Leben kein Ende hat, lebt man dann überhaupt? Der Kämpfer B. wirft all diese existenziellen Fragen darüber auf, was man ist und wie man die Welt erlebt . Es gibt ja in Geschichten und Legenden viele solche Figuren von Unsterblichen. Wir wollten diesen Geschichten etwas Neues hinzufügen. Der Unsterbliche, der gerne sterblich wäre. Das war ein Teil der Herausforderung.
Keanu Reeves: Ich glaube, dass Unsterblichkeit etwas ist, wonach Menschen sich sehnen. Menschen wollen nicht sterben. Und so handelt der Roman von der Macht der Unsterblichkeit. Es ist offenbar eine Art Lebenstrieb in uns, der immer gegen den Tod ankämpft. China hat ganz verschiedene Charaktere in den Roman eingebaut, Menschen, die alle darauf aus sind, unsterblich zu werden. Und rund um den Kämpfer B. entwickelt sich ein ganz eigener Kult. Das spielt natürlich auch auf religiöse Themen an, auf ein unsterbliches Selbst im Himmel…
Marie Kaiser: Würden Sie sagen, dass das Buch Anderswo letztlich auch ein Roman übers Altern ist?
Keanu Reeves: Hmm, geht es ums Altern? Doch. Ich würde sagen: ja. Das Buch hat so viele Handlungsstränge. Es spielt in der Gegenwart. Es gibt aber ganz viele Zeitebenen und geht weit in die Vergangenheit zurück. Und es gibt auch Figuren, die immer wieder übers Altern sprechen. Und das mit einer Art von Melancholie vielleicht? Was meinst du, China?
China Miéville: Ja, Melancholie ist genau das Wort, das ich auch verwenden würde. Für mich ist das Altern in diesem Buch kein explizites Thema, eher eine Art Textur, die das ganze Buch untermauert. Ich glaube nicht, dass ich es so vor 20 Jahren hätte schreiben können. Wissen Sie, ich bin in meinen 50ern und habe schon erleben müssen, dass geliebte Menschen sterben. Ich bin mir sehr darüber bewusst, was es bedeutet zu altern. Und um es klar zu sagen, nicht alles daran ist schlecht. Deshalb passt das Wort Melancholie so gut, denn Melancholie hat eine Art von Süße und dennoch eine Traurigkeit. Und so empfinde ich im Großen und Ganzen auch das Altern. Für mich ist dies also ein Buch, das von der Melancholie des Alters durchdrungen ist.
Marie Kaiser: Der Roman beginnt direkt mit einer Kampfszene, von denen es sehr, sehr viele im Roman gibt. Der Krieger B. reißt Köpfe und Arme ab, durchschlägt seinen Gegnern den Brustkorb. Warum so viel Splatter? Warum musste die Geschichte so brutal und explizit erzählt werden? Macht Ihnen das auch ein bisschen Spaß?
Keanu Reeves: Mich fasziniert die Form, die der Splatter annimmt. Wie bei einem Rorschachtest erzählen die Formen Geschichten und helfen auch bei den Ermittlungen. Wie ist dieser Spritzer dorthin gekommen? Die Sequenz, mit der der Roman beginnt, ist wirklich die Einführung in ein Geheimnis, das für den Roman ganz entscheidend ist. Es gibt am Anfang die Gewalt eines Selbstmordes. Eine Bombe, die in einer Art Selbstmordmission hochgeht. Es gibt die Gewalt an jemandem, der gefangen gehalten und ermordet wird. Immer wieder versuchen Figuren im Roman, unserer Hauptfigur B. die Macht zu rauben oder sie zu schwächen, um ihn zu töten. Es gibt so viele verschiedene Formen der Gewalt: auch emotionale. Und Liebe. Aber was den Splatter anbelangt, so schätzte ich es sehr, wie körperlich China die Gewalt beschreibt. Es war glitschig. Es war verstümmelt. Es war verkohlt. Es war verbogen. Es war gebrochen. Es geht nicht unbedingt immer um Splatter, also um die Spritzer an der Wand, sondern wirklich um die Formen, die die Körper annehmen. Die Art, wie die Räume riechen, oder wie sich die Dinge anfühlen.
China Miéville: Es gibt Dinge, die man in einem Roman erzählen kann, die in einem Comic oder Film nicht so gut funktionieren und umgekehrt. Im Comic kann man diese seltsamen Effekten erzeugen und ein wunderschönes Bild von einer schrecklichen Sache zeichnen. Genau das macht den Spaß an Gewaltcomics aus. Für diejenigen von uns, die das mögen! Ich glaube, dass es schnell albern wirken kann in Romanen, wenn Gewalt erbarmungslos beschrieben wird. Es gibt einige Gewaltszenen im Buch. Ich habe aber versucht, sie möglichst ruhig zu beschreiben. Was ich auf keinen Fall wollte, ist, dass dieses Buch nihilistisch oder lustig wirkt. Es ist sehr melancholisch. Ich hoffe, dass gerade in der Art der Gewalt eine gewisse Melancholie zu finden ist. Eine Art groteskes Ballett der Gewalt, wie Keanu es gerade beschrieben hat.
Marie Kaiser: Im Roman sind einige "Easter eggs" versteckt. Da tauchen auf einmal Figuren auf wie Sigmund Freud, Samuel Beckett, Karl Marx. Haben Sie ein Lieblingsosterei im Buch?
China Miéville: Meins ist der Freud! Schön, dass Sie das erwähnen, denn beim Schreiben des Buches wollte ich wirklich das Quellenmaterial des Comics „BRZRKR“ einbeziehen, aber natürlich auch etwas Neues einbringen. Die Idee mit Freud stammt aus dem Comic von Keanu, denn Sigmund Freud taucht an einer Stelle im Comic kurz auf. Diesen kleinen Moment im Comic wollte ich aufgreifen und ihn dann im Roman erweitern und mich ernsthaft mit Freuds Theorien auseinandersetzen. Und dabei eben noch nebenbei das Ausgangsmaterials der Comics würdigen. Also der Freud im Roman ist mein Lieblingsosterei.
Keanu Reeves: Ich sag jetzt einfach mal: Meins ist auch der Freud!
Marie Kaiser: Netflix wird "Das Buch Anderswo" verfilmen, mit Ihnen Keanu Reeves in der Hauptrolle - worauf freuen Sie sich bei der Rolle des B. am meisten?
Keanu Reeves: Am meisten freue ich mich darauf das Gefühl der Stille zu spielen, das sich nach der Gewalt einstellt. Sein Bedauern und seine Frustration und seine Sehnsucht danach, dass dieser Fluch der Unsterblichkeit endet und er einfach nur ein Mensch sein kann.
Marie Kaiser: Wir freuen uns sehr darauf, dass dann auf dem Bildschirm zu sehen mit Ihnen in der Hauptrolle. Vielen Dank für das Gespräch.
"Das Buch Anderswo" von Keanu Reeves und China Miéville - aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Jakob Schmidt, erschienen im Gutkind Verlag, 512 Seiten kosten 24 Euro.