Ukraine-Krieg - Sicherheitsexpertin Claudia Major über Ukraine-Hilfen: Es geht um die Sicherheit Europas, aber Europa steht nicht zusammen

Eine verschlissene Europa-Fahne © imago images/CHROMORANGE
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Frankreichs Präsident Macrons Alleingang nach der Ukraine-Konferenz mit 20 westlichen Staatsoberhäuptern am Montag sorgt für heftige Diskussionen. Bundeskanzler Scholz hat es kategorisch ausgeschlossen, Bodentruppen aus NATO-Staaten in die Ukraine zu entsenden. In Paris sei besprochen worden, dass es keine von europäischen Staaten oder der NATO entsandten Soldaten auf ukrainischem Boden geben werde, sagte Scholz. Auch NATO-Generalsekretär Stoltenberg sagte, es gebe keine entsprechenden Pläne. Dr. Claudia Major, Forschungsgruppenleiterin Sicherheitspolitik der Stiftung für Wissenschaft und Politik, erklärte kritisch auf radioeins, dass es um die Sicherheit Europas geht, aber Europa nicht zusammen stehe.

Frankreichs Präsident Macron hatte gesagt, es müsse alles getan werden, was nötig ist, damit Russland den Krieg nicht gewinnt. Aus dem Kreml hieß es, wenn Truppen in die Ukraine entsandt würden, wäre ein Konflikt zwischen Russland und der NATO unvermeidlich.

Warum glauben Sie ist Macron von dieser gemeinsamen Linie abgewichen?

Major: Er ist ja von der gemeinsamen Linie nicht abgewichen. Was er gestern gesagt hat, und ist noch wichtig zu wiederholen, er hat gesagt: er schließt es nicht aus. Er hat nicht gesagt, ich möchte Truppen, ich schicke Truppen, wir haben abgeschickt, dass Truppen geschickt werden. Er hat lediglich gesagt: ich schließe es nicht aus. Und die Reaktion der europäischen Verbündeten war, nein, wir sehen es anders. Und ich glaube, dass man das genau auf dem Level sagen sollte, er hat das nicht ausgeschlossen. Das war kein Aufruf und die anderen haben es abgelehnt. Interessant ist oder meines Erachtens auch wichtig, dass er damit sagt, der Krieg ist dynamisch, es kann sich immer wieder etwas verändern, und deshalb sollte man so etwas nicht ausschließen. Er hat auch etwas später danach in dem Gespräch daran erinnert, dass in den letzten zwei Jahren sehr viel ausgeschlossen wurde. Beispielsweise Panzerlieferungen, die dann doch stattgefunden haben. Da ist also auch eine starke, meines Erachtens sehr unglückliche Dosis von deutsch-französischen Zankereien drinnen, die dem Ernst der Lage überhaupt nicht angemessen ist.

Man hört schon durch, dass sie diesen Vorstoß von Macron gar nicht für unklug halten, denn er könnte ja beispielsweise auch für Unsicherheit in Moskau sorgen, zu was Europa möglicherweise doch bereit ist. Experten sagen dazu strategische Ambiguität. Also war das aus Ihrer Sicht klug, das zu tun?

Major: Klug finde ich jetzt hier ein großes Wort. Ich finde, was mich am meisten irritiert hat, gestern und auch schon die Tage davor auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass wir eine unheimliche Dringlichkeit in Europa haben in dem Krieg in der Ukraine und das Europa darauf aber nicht geeint und entschlossen reagiert, sondern sich letztlich in Zankereien ergeht. In der Ukraine ist die Lage dramatisch, was die Munitionsknappheit angeht. Russland stellt sich auf einen langen Krieg ein. Und in Europa steht man aber nicht zusammen und sagt, wir machen das jetzt gemeinsam, die USA sind blockiert, aber wir in Europa schaffen das. Sondern beispielsweise die Sicherheitsvereinbarung mit der Ukraine unterschreiben Frankreich und Deutschland getrennt. Jetzt gibt es das Zuspielen, Deutschland oder der Kanzler lehnt die Lieferung von Taurus ab und am nächsten Tag widerspricht Großbritannien und Frankreich schießt mit diesen Kommentaren auch schräg. Also was mich wirklich betroffen macht ist, dass es jetzt die Stunde Europas wäre, dass jetzt Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Polen geschlossen dastehen darstellen müssen und sagt, Streitereien beiseite, es geht hier um die Sicherheit Europas. Und das findet nicht statt, und das finde ich daran am schlimmsten.

Bundeskanzler Olaf Scholz macht ja im Vergleich zu Macron genau das Gegenteil, er sagt vor allem, zu was Deutschland nicht bereit ist. Auch das ist unklug in dieser Situation?

Major: Ja, ich halte das für unklug immer wieder dem Gegenüber zu sagen, das machen wir auf gar keinen Fall. Und letztlich haben wir uns in Deutschland in eine Debatte gebracht, wo wir über jedes Waffensystem öffentlich diskutieren. Das brauchen wir aber letztlich gar nicht. Letztlich ist es doch das politische Ziel, was die militärischen Lieferungen leiten sollte. Und das politische Ziel, das können wir auch in mehreren Regierungsdokumenten sehen, ist, die Ukraine soll ihre besetzten Gebiete befreien und ihre Souveränität wiederherstellen. Und wenn wir das als Ziel festgelegt haben, leiten sich daraus die militärischen Bedarfe ab.

Ja, aber Bundeskanzler Olaf Scholz will ja unter allen Umständen vermeiden, dass Deutschland kriegsbeteiligtes Land wird und begründet damit eben auch sein Nein zu Taurus-Lieferungen unter anderem, weil deutsche Soldaten dazu in die Ukraine müssten, obwohl Verteidigungspolitiker und Fachleute, zum Beispiel der Wissenschaftler Thomas Jäger, sagen, das stimmt gar nicht. Wer hat denn da Recht, Frau Major?

Major: Ich glaube im Endeffekt ist es eine politische Entscheidung des Kanzlers zu sagen, ob er diese Waffensysteme liefern möchte oder nicht, weil er letztlich dafür in der Verantwortung steht. Nach meinem Wissensstand ist die Präsenz von deutschen Soldaten nicht notwendig und auch keine Kriegsbeteiligung. Die britische Regierung hat das gestern ähnlich verlautbaren lassen. Aber ich finde, wir sollten nicht in diese Detailtiefe eines einzelnen Waffensystems abdriften, sondern wirklich die Frage stellen: Worum geht es hier? Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, in der Ukraine steht, das als militärische Machtprojektionsbasis nimmt, die Lehre zieht, dass sich Krieg führen lohnt und es damit seine Ziele erreichen kann, dann stehen wir in Europa sicherheitspolitisch schlechter da, und dann sind auch die wirtschaftlichen Grundlagen für Deutschland, dass man Regeln respektiert, dass international auch Handelswege offen bleiben, dass es eine internationale Ordnung gibt, dann ist all das in Frage gestellt, und dann stehen wir schlechter da. Und ich glaube, das ist die Frage, die wir uns stellen müssen. Aus Furcht vor Handeln nicht zu Handeln kann manchmal noch viel schlimmere Folgen haben.

Sabine Rennefanz © imago images/Future Image
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Kommentar von Sabine Rennefanz - Kindergrundsicherung: Hat sich Bundesfamilienministerin Paus verrannt?

Monatelang wurde gerungen und gestritten, das Projekt "Kindergrundsicherung" hätte im Sommer fast die Ampel-Koalition gesprengt. Mit der Grundsicherung möchte die Regierung Familien mit Kindern einfacher und effektiver finanziell unterstützen. Eigentlich sollte das Gesetz 2025 in Kraft treten, aber der Gesetzentwurf steckt seit Monaten im Parlament fest. Und jetzt hat Bundesfamilienministerin Paus (Grüne) angekündigt, für die Umsetzung 5000 neue Stellen zu schaffen. Die FDP will da nicht mitmachen und wirft der Grünen Ministerin vor, am Ziel vorbeizuschießen.