Deeskalation im Nahen Osten - Nahost-Experte Reinicke: Hin zu einer politischen Logik, weg von der militärischen Logik

Dunkle Zeiten im Nahost-Konflikt. Sonnenuntergang hinter dem Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem
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Dunkle Zeiten im Nahost-Konflikt. Sonnenuntergang hinter dem Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem | © imago images/Eibner Europa Download (mp3, 5 MB)

Nach dem Angriff des Iran auf Israel am Wochenende steigt die Sorge nach einer weiteren Eskalation. In der ARD nannte Außenministerin Baerbock es essentiell, jetzt nicht Schritt um Schritt weiter in eine Eskalation hineinzugeraten. Andreas Reinicke, Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Berlin und ehemaliger Diplomat, erklärte auf radioeins, dass die Antwort Israels so skaliert sein muss, "dass man keine Provokation hervorruft, und das wird die große Kunst sein". "Wir müssen ja auch zurückkommen zu einer politischen Logik und weg von der militärischen Logik", so Reinicke.

Aus Israel wird, emotional nachvollziehbar, betont, dass man den Angriff mit mehr als 300 Drohnen und Raketen beantworten muss. Mal ganz naiv gefragt, muss man denn wirklich?

Reinicke: Na, wenn wir noch einmal kurz zurückblicken. Es gab eine stillschweigende Vereinbarung zwischen Israel und dem Iran, dass man sich nicht direkt angreifen würde, sondern indirekt. Durch Hisbollah und die jemenitischen Huthis einerseits, und Israel hat mit Attacken auf iranische Waffenlieferungen in Syrien und im Libanon geantwortet. Diese Vereinbarung hat nach iranischer Auffassung Israel durch den Angriff auf die iranische Botschaft und die Tötung eines ranghohen Generals aufgekündigt. Und obwohl Iran eigentlich andere große innenpolitische Probleme hat, also der Aufstand der Frauen ist ja noch keineswegs vorbei, es geht um die Nachfolge des greisen Revolutionsführers Khamenei, der seinen höchst umstritten seinen Sohn einsetzen will, war offensichtlich der innenpolitische Druck in Iran so groß, dass man glaubte antworten zu müssen. Man hat aber nach nahöstlicher Logik, die anders als unsere ist, in einer Art und Weise geantwortet, die Israel keinen großen Schaden zufügen sollte, denn man hat rechtzeitig vorgewarnt und hat damit Israel die Gelegenheit gegeben, letztendlich ohne Schaden davon zu kommen. Und das ist ja schon auch interessant gewesen, denn mit Hilfe der Verbündeten und auch mit Hilfe von arabischen Verbündeten, Jordanien und anscheinend auch Saudi-Arabien und dem Irak. Also das zeigt, dass jetzt die Antwort so skaliert sein muss, dass man keine Provokationen hervorruft. Das wird die große Kunst sein.

Sie stecken ja recht tief drin in dieser Logik, versuchen sich der auch immer zu nähern. Welche Szenarien sehen Sie denn für eine mögliche Antwort Israels jetzt auf den Iran?

Reinicke: Naja, es gibt Szenarien, die einmal eine direkte militärische Antwort sein können auf direktes Staatsgebiet. Das ist aber riskant, denn das würde unter Umständen eine neue Ausweitung bedeuten. Es wäre besser, wenn man vielleicht wieder zu einem Angriff auf einen Dritten kommt, wie ich vorhin geschildert habe, um eben diese Situation zu deeskalieren. Ob das nun erfolgen wird, wissen wir nicht. Es wäre auch besser, wenn es nicht sofort passiert, denn wir müssen ja auch zurückkommen zu einer politischen Logik und weg von der militärischen Logik.

Wer kann denn deeskalierend auf beide Parteien einwirken, vor allem die USA?

Reinicke: Sicherlich vor allen Dingen die USA. Das ist der Hauptverbündete, aber natürlich auch Deutschland. Die Bundesaußenministerin reist jetzt ja nach Tel Aviv und später nach Italien, wo die G7 sich treffen. Also auch die G7 können sich entsprechend äußern. Auch mögliche Sanktionen können natürlich Israel signalisieren, Sanktionen gegen den Iran, können Israel signalisieren, dass man bereit ist zu unterstützen. Aber all das ist kein Ersatz für Politik und dahin müssen wir wieder zurückkommen.

Und welche Rolle spielen die Nachbarn Ägypten, Saudi-Arabien?

Reinicke: Ägypten in dieser speziellen Situation eine untergeordnete Rolle, aber Saudi-Arabien, Jordanien und offensichtlich auch der Irak spielen insofern eine Rolle, weil sie sich ja tatsächlich aktiv an der Verteidigung Israels beteiligt haben. Das ist ein Novum. Das muss man sich überhaupt erst mal vorstellen. Das hat es noch nie gegeben. Und eine Chance, dass die Sicherheit und das Existenzrecht Israels jetzt auch durch arabische Staaten mit verteidigt wird. Also hier entwickelt sich ein Nukleus für eine politische Chance, die man nicht durch einen zu großen, extremen Angriff Israels zerstören wird.