Album der Woche - "Squeeze Me" von Sophia Kennedy

Eine der außergewöhnlichsten Künstlerinnen der hiesigen Musiklandschaft tritt endlich wieder mit einem neuen Album ins Rampenlicht: Sophia Kennedy. Nach einigen Jahren der Zurückgezogenheit, erscheint nun Platte Nummer 3 namens „Squeeze Me“ und darauf verschmilzt die Hamburgerin einmal mehr gegensätzliche Elemente aus dem Hip-Hop, aus dem Chanson, aus dem R’n’B und aus Singer-Songwriter-Musik zu ihrem ganz eigenen Stil, der ganz nebenbei in außergewöhnlich guter Popmusik mündet.
Sophia Kennedy: “Ich lasse mir gerne Zeit, also für heutige Zeiten ist das ja viel Zeit zwischen den Alben, aber ich lasse mich davon gar nicht so sehr beeindrucken, weil ich den Leerlauf brauche zwischen den Alben und den Dämmerzustand, bis irgendwie wieder was Neues ankommt; wenn man empfänglich ist für neue Ideen. Das macht große Freude.“
Ihre Songs sind als eine Art Kommunikationsangebot gedacht. Songs mit vielen Ebenen und Anknüpfungspunkten.
Sophia Kennedy: „Beim Texten, interessiert es mich, aus so verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Wie eine Filmkamera, die ja auch immer aus verschiedenen Perspektiven Sachen sieht, festhält oder beschreibt. So versuche ich oft, an Texte heranzugehen.“
Exemplarisch dafür ist auf dem neuen Album gleich der erste Song namens „Nose for a Mountain“. Ein Song, dessen hypnotische musikalischen Effekte einen wirkungsvoll in eine mystische Stimmung bringen. Und die Kamera, deren Funktion Sophia Kennedy wie sie eben erläutert hat gern beim Schreiben einnimmt, die fährt in der ersten Strophe des Songs ganz dicht heran an das Gesicht ihrer schlafenden Mutter. Nose for a Mountain – Die Nase sieht aus wie ein Berg. Hier wird Sophia zum Kind mit all den Fragen ans Leben, die Kinder haben. Auch die, ob es einen Gott gibt. Die Mutter weiß es nicht. Und so fragt das Kind: Ja, aber wer ist denn der Chef:
Sophia Kennedy: „Als Kind wollte ich einfach wissen: Wer ist eigentlich mein Bestimmer? Und dann habe ich meine Mutter gefragt und sie hat gesagt: „Ich bin dein Bestimmer, weil ich bin für dich verantwortlich. Und dann dachte ich: Okay, aber dann musst du ja auch jemanden haben, der sozusagen dein Chef ist. Das sind vielleicht meine Großeltern. In so einer Kinderfantasie spinnt man diesen Gedanken weiter: Wer ist dann der Chef der Großeltern? Das kann ja nur noch Gott sein, oder so. Das finde ich eigentlich eine ganz schöne Beschreibung, wie man eigentlich mit so großen Fragen umgehen kann.“
Die feinsinnige Logik eines Kindes. Künstlerischer und zugleich alltagspragmatischer kann man unser Bedürfnis nach Orientierung wohl nicht ausdrücken als im folgenden Song, der mit einer Länge von gerade mal 4 Minuten das Erwachsenwerden einfängt. Und so versucht der Song „Nose for a Mountain“ nichts Geringeres, als uns zu helfen, die Vergänglichkeit zu begreifen und zu akzeptieren. Die neuen Songs von Sophia Kennedy sind kunstvoll verstiegen, tiefgründig und zugleich poppig. Ihre Stimme zieht einen sofort in den Bann und besitzt eine wahnsinnig große Range. Wenn sie etwas singt, dann würde man nicht mehr fragen, wie sie es und ob sie es ernst meint, findet auch DJ Koze, der Sophia gern als Gaststimme für seine Tracks einlädt. So wie sie ihre Songs textet, das finde man in der deutschen Musiklandschaft kein zweites Mal, findet er.
Auch bei der Wahl ihrer Albumtitel macht sich die Wahlhamburgerin gern umfassend Gedanken. So ist „Squeeze me“ ein herrlich vieldeutiger Name.
Sophia Kennedy: „Der Albumname ist mir mehr oder weniger einfach so zugeflogen. Ich glaube, ich habe ihn aus unterschiedlichsten Gründen gewählt. Weil sehr vielfältig ist, widersprüchlich und ambivalent. Dann hat er auch eine ästhetische Dimension: Etwas Comic-haftes, Plastik-haftes, ein Slogan, den man eigentlich aus einer Marketingabteilung von Spielwarenläden kennt, wo auf den Packungen außen immer „Squeeze me“ so als Aufforderung draufsteht. Wenn man dann da draufdrückt, dann passiert irgendwas Tolles. Und dieses Spiel, damit auch ein Produkt zu sein, wenn man als Musikerin ein Album rausbringt und das sozusagen aufzunehmen, fand ich ganz lustig.“
Die Ambivalenz, die in dem Albumtitel steckt, dass „Squeeze Me“ nicht nur etwas Niedliches sein kann, sondern auch etwas Abgründigeres bedeuten kann, das wird in dem Song „Feed me“ auf dem neuen Album sichtbar. Hier kommt die Zeile „Squeeze me“ auch vor. Ein Song mit doppeltem Boden, weil er auf der einen Seite eine liebliche, naive, sehr schöne Melodie hat und im Text aber eine sarkastische, stacheligere Haltung eingenommen wird. Der Song verhöhnt eine Person, die sich in ihrer Generosität und bevormundenden Art gefällt. Zur Belohnung bekommt sie in dem Song alberne Luftballongeräusche serviert. Im Gegensatz dazu geht es in dem Song „Drive The Lorry“ um grundsätzliches Empowerment. Natürlich nicht ohne Humor, indem Klischees aufgegriffen und überspitzt werden. Im Gegensatz dazu hadert das lyrische Ich in dem Song „Runner“ mit den verschiedensten Zweifeln.
Sophia Kennedy: „Der Song „Runner“ hat eine psychedelische oder filmische Komponente in dem Text, weil da geht es ganz explizit um verschiedene Perspektiven. Am Anfang bin ich die Fliege und im Verlauf geht es um neurotische Zustände, aber eben auch um die Bereitschaft, etwas aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Und die Bereitschaft, gerade in heutigen Zeiten, ist ja oft nicht da. Als Beobachter in der Welt zu stehen und erst mal irgendwie festzustellen: Was sehe ich da eigentlich? Was passiert eigentlich vor meinen Augen? Und wie färbt meine eigene Sichtweise auch das, was ich sehe und so weiter. Diese Fragen schwingen alle in dem Song mit und dazu gibt es auch wieder eine komikhafte Überspitzung, denn die Fliege, die da in einer Bar herumschwirrt, die hat natürlich noch einmal eine ganz andere Perspektive als all die Passanten, während sie abwechselnd deren Gesprächen lauscht.“
All diese umfassenden und komplexen Gedankengänge kann man in Sophias Songs entdecken. Sowohl textlich als auch musikalisch. Dennoch wirken sie leichtfüßig und poppig, atmosphärisch. Alles ist eben ambivalent – Die Musik wie die Welt selbst. Und so ist das Herzstück des neuen Albums möglicherweise der bittersüße Song „Closing Time“. Hier erklingt eine Mischung aus Sehnsucht und Resignation, zwei Dinge, die sich eigentlich ausschließen und die Hoffnung darauf, dass sich die Dinge in der Welt noch einmal ändern, verbindet Sophia hier mit dem Bild eines Jahrmarktes. Es gibt romantische Szenen, Küssen unterm Papiermond, Süßkram und Fahrgeschäfte, Unschuld und Amüsement, alles im Dämmerlicht.
Sophia Kennedy: „Es ist eben ein klischeehaftes Bild in dem Song „Closing Time“. Bei einem Jahrmarkt wird einem ja eine Welt vorgegaukelt, die so nicht existiert. Und das Maskenhafte und das Schöne und die Illusionen und die Utopie und die Träume und das Zuckrige und alles Verheißungsvolle wird einem dort versprochen. Aber wenn man sich hintenrum am Jahrmarkt vorbeiläuft, da sieht man ja eigentlich, dass die ganzen Buden alle falsch angeschlossen sind. Dann läuft bei der Pommesbude das Fett hinten raus, da steht jemand und raucht und sieht irgendwie müde aus. Der Song spielt auf jeden Fall mit dieser klischeehaften Feststellung, dass natürlich alles nicht so ist, wie es scheint.“
Am Ende sitzt die Menschheit auf einer riesigen Schiffsschaukel und die Apparatur fällt auseinander, verliert die Kupplung und fliegt durch die Luft fliegt. Was dann kommt, bleibt offen. Wir fliegen weiter mit den Songs von Sophia Kennedy.
Claudia Gerth, radioeins
Tracklist
1. |
Nose For A Mountain |
2. |
Imaginary Friend |
3. |
Drive The Lorry |
4. |
Runner |
5. |
Rodeo |
6. |
Feed Me |
7. |
Oakwood 21 |
8. |
Upstairs Cabaret |
9. |
Closing Time |
10. |
Hot Match |