Interview - Sven Regener über seinen neuen Roman "Glitterschnitter"

Sven Regener
Sven Regener | © Charlotte Goltermann

Thomas Böhm sprach mit dem erfolgreichen Schriftsteller, Trompeter und Frontmann der Band "Element of Crime" über seinen jüngsten Roman "Glitterschnitter" - über Liebe, Freundschaft, Verrat, Kunst und Wahn in einer seltsamen Stadt in einer seltsamen Zeit.

Personal und Schauplatz von Sven Regeners neuem Roman „Glitterschnitter“ sind altbekannt: Frank Lehmann, der Konzeptkünstler H.R. Ledigt, die konkurrierende Kunstgruppe um P.Immel, Chrissie, die ihrer Stuttgarter Mutter entkommen will. Eben diese Mutter, die mit dem Manager von H.R. Ledigt zusammengekommen ist. Sie und viele andere bevölkern das Kreuzberg der frühen 1980er Jahre – in dem es laut wird: Eine Band namens „Glitterschnitter“ macht Krachmusik. Zugleich hält die Ikea-Gemütlichkeit Einzug in die teilweise besetzten Häuser. Und Frank Lehmann will im Café Einfall das neuste Modegetränk anbieten: Kaffee mit aufgeschäumter Milch. Aber er weiß nicht so recht, wie man Milch aufschäumt.

radioeins Literaturagent Thomas Böhm sprach mit Sven Regener über seinen neuen, historischen Roman, der Entwicklungen zeigt, die bis in die Gegenwart reichen.

Thomas Böhm: Es gibt keine genauen Zeitmarken im Buch, außer, dass Ikea in Spandau eröffnet hat. Das geschah 1979. Also spielt der Roman wohl kurz danach. Warum haben Sie ihn in der Zeit angelegt?

Die Eingangsszene spielt bei Ikea. Der Konzeptkünstler H.R. Ledigt entdeckt eine Musterwohnung und beschließt, die bis ins kleinste Detail, bis in die letzte Serviette zuhause nachzubauen. Und alle Figuren kommen dann im Laufe des Buches in Kontakt mit dieser Musterwohnung. Was hat sie an der interessiert?

Was bemerkenswert ist: Frank Lehmann will im Café Einfall Milchkaffe verkaufen. Weil er mitbekommen hat, dass die Touristen dafür 3 Mark zahlen. Arbeitet er da – ohne sein Wissen – an der Gentrifizierung mit?

Egal wen man herausgreift: Frank Lehmann, Crissie, die im Cafe Einfall kellnert, aber auch die Künstler … alle scheinen einen Platz im Leben zu suchen.

Die Band „Glitterschnitter“, die dem Buch den Titel gibt, macht Musik mit Synthesizer, Schlagzeug und Bohrmaschine. Was sagt das über das Berlin der Zeit aus, dass das damals da als Kunst galt?

Das Kunst-Ereignis, an dem „Glitterschnitter“ unbedingt teilnehmen will, heisst „Wall City Noise“. Klingt toll, ist aber von einer unendlichen Kleinlichkeit umgeben: Man muss persönliche Beziehungen haben, auf kulturpolitische Befindlichkeiten und Eitelkeiten achten…

Dass so eine Figur wie Siggi, der früher eine Fixerstube am Kotti geleitet hat, jetzt – ohne jede künstlerische Vorbildung – an entscheidender Stelle im Kunstbetrieb sitzt, ist doch eigentlich traurig.

Die Figuren in Ihrem Buch streiten viel über das Wahre und Schöne in der Kunst. Wo ist für Sie das Wahre und das Schöne in Ihrem neuen Buch?

Inhalt des Buchs:


Die Lage ist prekär: Charlie, Ferdi und Raimund wollen mit Glitterschnitter den Weg zum Ruhm beschreiten, aber es braucht mehr als eine Bohrmaschine, ein Schlagzeug und einen Synthie, um auf die Wall City Noise zu kommen. Wiemer will, dass H. R. ein Bild malt, aber der will lieber eine Ikea-Musterwohnung in seinem Zimmer aufbauen. Frank und Chrissie wollen die alte Trinkerstube Café Einfall zur kuchenbefeuerten Milchkaffeehölle umgestalten, aber Erwin will lieber einen temporären Schwangerentreff etablieren. Chrissie will, dass Kerstin endlich zurück nach Stuttgart geht, aber die muss erst noch Chrissies neuen Schrank an der Wand befestigen. Die Frage, ob Klaus zwei verschiedene Platzwunden oder zweimal dieselbe Platzwunde zugefügt wurde, ist noch nicht abschließend geklärt, aber bei den Berufsösterreichern der ArschArt-Galerie werden bereits schöne Traditionen aus der Zeit der 1. Ottakringer Shakespeare-Kampfsportgesellschaft wiederbelebt.


Erscheinungstermin: 09.09.2021

Zusatzinformationen: Galiani-Berlin