rbb: Herr Reese, warum haben Sie sich dafür entschieden, das Solidaritätskonzert im Berliner Ensemble stattfinden zu lassen?
Oliver Reese: Die Entscheidung ist leichtgefallen. Als Igor Levit mich anrief und sagte: Ich finde es wichtig, dass wir ein Zeichen setzen, können wir das im Berliner Ensemble tun? Da habe ich gar nicht nachgedacht, sondern sofort gesagt: Wir wollen das. Uns ist wichtig, ein Zeichen gegen das Schweigen zu setzen, das leider auch in der Kulturbranche hörbar ist. Viele sind nicht aufgestanden gegen den Terror, den die Hamas in Israel angerichtet hat, für ein gemeinsames, gutes Zusammenleben von jüdischen und nicht-jüdischen Menschen in Deutschland.
Wie erklären Sie sich dieses Schweigen in der Kulturszene?
Oliver Reese: Das kann man sicherlich damit erklären, dass der Nahostkonflikt ein komplizierter Konflikt ist und mancher sich damit herausredet, dass man in so einer schwierigen Lage nicht ein Zeichen für eine der beiden Seiten setzen möchte. Uns geht es aber um etwas anderes. Der Terror der Hamas ist eindeutig zu verurteilen. Darin stimmen uns ja auch sehr viele palästinensische Menschen zu, die diesen Terror genauso verurteilen. Das Zusammenleben in Deutschland - von unseren jüdischen Freunden und nichtjüdischen Deutschen - ist von dieser Nahostfrage meiner Ansicht nach ganz unberührt. Denn hier geht es um uns.
Können Sie verstehen, dass sich viele Menschen bei der Debatte heraushalten?
Oliver Reese: Nein, ich finde, man muss Position beziehen. Wir haben Position bezogen im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Ukraine, da gab es auch ein Solidaritätskonzert, bei dem wir sämtliche Einnahmen gespendet haben. Wir haben mehrere Abende gemacht, um den Widerstand der Frauen im Iran zu unterstützen. Als Theater kann man nicht viel tun, aber man kann doch Zeichen setzen und man kann mit solchen Abenden auch Erlöse spenden. Und ich denke, es ist schon ein wichtiges Signal, dass man nicht die Klappe hält und sagt: Das ist alles so kompliziert, da weiß ich auch nicht. Doch, wir wissen schon! Wir wissen, dass wir hier an der Seite unserer jüdischen Freunde und Freundinnen stehen. Und das wollen wir auch ganz deutlich zum Ausdruck bringen.
Die Erlöse des Abends gehen an die Initiativen KIgA und Ofek, die sich gegen Antisemitismus stark machen und Diskriminierungsopfer unterstützen. Was war Ihnen bei der Auswahl der Organisationen wichtig?
Oliver Reese: Es war uns wichtig, dass wir Einrichtungen unterstützen, die gegen den Antisemitismus in Deutschland arbeiten. Also natürlich würde es auch Sinn machen, für die Angehörigen der Opfer, etwa in Israel, zu spenden. Aber das ist jetzt nicht der Fokus an diesem Abend. Hier geht es um den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland, der sich verbal äußert, der sich aber auch in Angriffen auf Synagogen und in Angriffen auf einzelne jüdische Mitbürger äußert. Und diese beiden Vereine tun etwas dagegen. Und deswegen fanden wir wichtig, dass wir regional hier in Berlin diese wichtige Arbeit unterstützen.
Abgesehen von den Spenden, was kann so ein Abend im Theater ausrichten?
Oliver Reese: Theater kann eine ganze Menge. Und zwar vor allen Dingen dann, wenn man es hautnah erlebt. Es sind einige Künstlerinnen und Künstler dabei, die noch nie zusammen aufgetreten sind. Die Kombination geht von dem großen, legendenhaften Wolf Biermann bis zu Luisa Neubauer, die einen Text lesen wird. Andere sind Katharina Thalbach, Sven Regener, Igor Levit. Und auch die Generalmusikdirektorin Johanna Mallwitz und Christian Thielemann sind dabei. Es ist außergewöhnlich, alle diese Menschen zusammen zu erleben, die gemeinsam sagen wollen: Wir sind gegen dieses Schweigen.
Und ich denke, dass da mehr als ein Funke überspringen wird. Da wird ein gemeinsamer Spirit entstehen zwischen den 700 Menschen, die hier ganz real in dem Theater sind und die miterleben, was auf der Bühne an Texten und an Musik passieren wird. Das wird improvisiert sein, das wird nicht hundertprozentig perfekt ablaufen, dafür ist gar nicht die Zeit. Wir haben nur wenige Stunden, das alles vorzubereiten. Aber gerade in dieser spontanen gemeinsamen künstlerischen Äußerung kann eine ganz große Kraft liegen. Und ich bin überzeugt, die wird uns auch mitreißen und berühren.
Wie nehmen Sie die derzeitige Stimmung in Berlin und Deutschland wahr?
Oliver Reese: Ich hätte beinahe gesagt: Deutschland fängt an zu zerreißen. Die Fliehkräfte in verschiedene Richtungen sind extrem spürbar. Wir haben uns alle vor zwei Jahren nicht vorstellen können, was auf uns einprasselt. Nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und weltweit. Dass es neben der Klimakrise ein Ukrainekrieg gibt, dass es nun dieses Attentat in Israel gibt, das den Nahostkonflikt enorm verschärft hat und dass das auch in unser Land hineinträgt. Dass wir bedrohliche politische Werte für die AfD zeitigen müssen, nicht nur im Osten. Nun haben wir auch noch eine Finanzkrise einer Bundesregierung, die möglicherweise auch zu zerreißen droht. Das führt schon dazu, dass die Nerven vieler Menschen blank liegen und Menschen in einer solchen Situation auch Angst bekommen vor der Zukunft. Zum Teil handeln sie auch irrational und dabei passieren Dinge, die selber bedrohlich und angstmachend sind. Unsere jüdischen Mitbürger innen und Mitbürger sind davon extrem betroffen im Moment.
Der jüdische Pianist Igor Levit, der das Konzert initiiert hat, sagte kürzlich in einem Interview, dass er sich seit dem 07. Oktober allein fühlt. Können Sie dieses Gefühl nachvollziehen?
Oliver Reese: Das wäre wohlfeil so leicht als atheistischer und nicht-jüdischer Mensch zu sagen: Ja, ja, das kann ich nachvollziehen. Weil ich glaube, man kann das nicht nachvollziehen, wenn man nicht erlebt hat, wie man hässliche und bedrohliche Nachrichten bekommt, wie Familienangehörige in Israel unter dem Terror ganz real leiden. Nein, ich kann das nicht nachvollziehen, weil ich das nicht am eigenen Leib erleben muss. Aber ich bemühe mich zu verstehen, was das bedeutet. Und ich versuche, an der Seite von Jüdinnen und Juden zu stehen, die das gerade erleben. Und deswegen versuchen wir auch als Theater Stellung zu beziehen.