Zwölf Uhr mittags - Christian Friedel: "Jonathan Glazer möchte Fragen stellen, und wir sollten sie für uns beantworten und uns unserer Verantwortung bewusst sein"

Christian Friedel beim London Film Festival 2023 © IMAGO/Avalon.red/Justin Ng
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Nach Motiven des umstrittenen Romans "Interessengebiet" von Martin Amis inszenierte Regisseur Jonathan Glazer das Idyll der Täterfamilie von Auschwitz, unmittelbar am Todeslager, als perfekte Abspaltung von der Wirklichkeit. "The Zone of Interest" ist ein filmischer Meilenstein, ein neuer Schritt der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazis, die niemals enden darf, sagt Knut Elstermann zu diesem Film mit Sandra Hüller und Christian Friedel in den Hauptrollen. Mit Christian Friedel hat sich Knut Elstermann unterhalten.

Bei den Filmfestspielen in Cannes im letzten Jahr wurde das Werk für seine Radikalität gelobt, gewann den großen Preis der Jury, bei den diesjährigen Oscars ist "The Zone of Interest" in fünf Kategorien nominiert. Christian Friedel spielt in Jonathan Glazers Film Rudolf Höß, den Lagerkommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, Sandra Hüller seine Frau Hedwig. Gedreht wurde an Originalschauplätzen.

Ein Film, bei dem in vielerlei Hinsicht anders vorgegangen wurde, da es bei "The Zone of Interest" nicht darum geht, die Biografie dieser beiden Menschen oder dieser Familie darzustellen, so Christian Friedel im Gespräch mit Knut Elstermann. "Wir schauen in ihr Alltagsleben hinein. Wir haben eine gewisse Freiheit gehabt in der Interpretation dieser Figuren."

Vorab wurden lange Gespräche über das Drehbuch und über die Rollen geführt, erzählt Christian Friedel, mit Sandra Hüller, mit Regisseur Jonathan Glazer, mit dem Produzenten Jim Wilson. Das Besondere beim Dreh war, dass Jonathan Glazer ein Multikamerasystem nutzte, teilweise mit zehn Kameras gleichzeitig drehte. Dadurch hatten Christian Friedel, Sandra Hüller und die anderen Schauspieler und Schauspielerinnen die Möglichkeit, sich Situationen zu erspielen, zu improvisieren. Unterschiedliche Räume konnten gleichzeitig bespielt werden, sie lernten so das Haus kennen, lebten regelrecht darin. "Manchmal hat jemand 'Cut' gerufen, manchmal nicht. Diese Improvisationen haben uns dann geholfen, eine Tonalität zu finden, um Sätze in einer fast beiläufigen Form, ganz normalen Form zu sagen."

Christian Friedel in "The Zone of Interest" © IMAGO / Landmark Media
Christian Friedel in "The Zone of Interest" | © IMAGO / Landmark Media

Christian Friedel und Sandra Hüller sowie die anderen Darsteller und Darstellerinnen waren dabei immer ganz alleine am Filmset, im Haus, im Garten. Regisseur Jonathan Glazer war mit seinem Team in einem Trailer neben dem Set, ein Teil des Teams bediente die Kameras vom Keller des Hauses aus.

Pro Tag wurden ein bis zwei Szenen gedreht, ein Drehbuch hatten nur Sandra Hüller und er, erzählt Christian Friedel. Das Team wusste, dass beispielsweise ein Abendessen gedreht wird oder ein Geburtstag, bei dem gesungen und Kuchen gegessen wird. Es gab Sätze, die im Vorfeld feststanden. "Wir konnten dann selbst entscheiden, in welchem Moment wir das Gefühl hatten, es wäre jetzt gut, diesen Satz zu sagen." Wenn es nicht gleich klappte, konnten sie den Satz zu einem späteren Zeitpunkt sagen. "Es gab keine Fehler. Das war auch etwas unglaublich Befreiendes, was uns geholfen hat, in diese Leute reinzukommen."

Sandra Hüller in "The Zone of Interest" © IMAGO / Landmark Media
Sandra Hüller in "The Zone of Interest" | © IMAGO / Landmark Media

Es war nicht leicht für sie, Rudolf und Hedwig Höß zu spielen, so Christian Friedel. "Wir mögen diese Menschen nicht, wir verabscheuen sie für das, was sie getan haben, sowohl Rudolf Höß, der Organisator eines extremen Verbrechens war, sowie Hedwig Höß, die davon profitiert hat, die mit ihrer Gier sich arrangiert hat und später sogar noch behauptet hat, sie hat von alledem nichts gewusst. Diese Wahrheit wollten wir irgendwie aufzeigen."

Für Christian Friedel war der Dreh an "The Zone of Interest", für den er sich eineinhalb Jahre vorbereitet hat, "ein Cocktail, der sehr intensiv war". Ein Film, durch den er sowohl als Mensch als auch als Künstler viel gelernt hat. Und er hat auch gelernt, wie stark Menschen zur Verdrängung und Abspaltung fähig sind.

"Natürlich ist das vielleicht auch ein Überlebensinstinkt und die Möglichkeit besteht bei uns allen. Aber es sollte uns bewusst sein, dass das, wenn wir uns zu stark abspalten, zu etwas führen kann, ja, zu was Schrecklichem führen kann, wie man in diesem Film sieht."

Zwölf Uhr mittags (Image-Bild)
Leonine

Drama/Historie/Krieg - The Zone Of Interest

Nach Motiven des umstrittenen Romans "Interessengebiet" von Martin Amis inszenierte Jonathan Glazer das Idyll der Täterfamilie von Auschwitz, unmittelbar am Todeslager, als perfekte Abspaltung von der Wirklichkeit.