Oderberger Straße - Die Straße der Besten

Die schöne Straße - Straße der Besten
Die schöne Straße - Straße der Besten

Gefühlt jeder Berlin-Bewohner (und jeder Berlin-Tourist) war schon mal zu Gast in der ungewöhnlich breiten und begrünten Straße. Aber wer wohnt und wohnte hier eigentlich? Die Zahl interessanter Menschen, die die Oderberger mal ihre Heimat nannten oder immer noch nennen, ist groß. Ein paar stellen wir Ihnen genauer vor.

Herr und Frau Grätz, „Ureinwohner“ der Oderberger 42
Es ist wie mit seltenen Schmetterlingen, es gibt sie, doch nur noch vereinzelt und sie sind vom Aussterben bedroht. Ähnlich ist es mit den „Ureinwohnern“ der Oderberger Straße, von denen es nur noch wenige gibt. Nach der Wende hat schätzungsweise 80% der Bevölkerung in Prenzlauer Berg gewechselt, 4 von 5 Bewohnern sind seither also weggezogen oder verstorben. Das Ehepaar Grätz aber hat ausgehalten. Irmgard Grätz (76) wurde sogar schon im Hinterhaus der Oderberger 42 geboren, ihr Mann Jürgen kam als Kind in die Straße und wuchs ebenfalls hier auf. Junge Mitbewohner gründeten nach der Wende eine GbR, kauften das Haus, sanierten es mit Senatsmitteln und ermöglichen Mietern wie dem Ehepaar Grätz eine bezahlbare Wohnung. So genießen Irmgard Grätz und ihr Mann heute ihren Blick vom Balkon auf das bunte Treiben ihrer Straße.

 

2. Nadja Klier, Fotografin und Filmautorin
Nadja Klier zog als Fünfjährige gemeinsam mit ihrer Mutter, der Regisseurin Freya Klier, 1979 aus Senftenberg nach Berlin. Sie bekamen eine Wohnung in der Oderberger Straße zugewiesen und gerieten so eher zufällig in den Kreis von Menschen, die sich in einer Art Parallelwelt zur „restlichen“ DDR bewegten. Gemeinsam mit Freya Kliers zweitem Mann, dem Liedermacher Stefan Krawczyk, und anderen mehr oder weniger prominenten DDR-Bürgerrechtlern, Künstlern, Unangepassten erlebte Nadja Klier hier, in unmittelbarer Nähe zur Mauer, eine Art Oppositionswohngemeinschaft. Mit 11 Jahren spielte sie die Hauptrolle in dem DEFA-Märchenfilm „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ und bewarb sich nicht zuletzt deshalb 1988 an der Ostberliner Schauspielschule „Ernst Busch“. Kurz vor dem Vorstellungsgespräch jedoch wurde ihre, wegen Kritik am Staat in Untersuchungshaft sitzende, Mutter aus der DDR abgeschoben. Nadja Klier lebte zu der Zeit bei der Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe und folgte ihrer Mutter nach Kreuzberg, wo sie bis zur Wende wohnte und auch heute wieder lebt. Denn die Oderberger fühlt sich für sie nicht mehr nach Heimat an. Trotzdem hat Nadja Klier gemeinsam mit ihrer Mutter nun einen sehr persönlichen Film über die Straße gedreht:

Die Doku „Meine Oderberger Straße“ wird am 29. Mai im Anschluss an die radioeins-Sendung „Die Schöne Straße“ in der Kiezkantine (Oderberger Straße 50) eine
Vorpremiere erleben und am 2. Juni um 21.00 Uhr vom rbb ausgestrahlt.

Link

www.tagesspiegel.de/berlin/ddr-kinderstars-mit-der-defa-gross-geworden/4203336.html

http://www.nadjaklier.de


daheim Kunstprojekt Wolfgang Krause

3. Wolfgang Krause, Künstler
Wolfgang Krause ist Künstler und so etwas wie einer der letzten Mohikaner in der Oderberger. Er wohnt seit 30 Jahren hier, hatte lange Jahre in Oderberger 2 seine Galerie „O zwei“. Für ihn waren die wilden 90er Jahre die perfekte Zeit und die Oderberger der perfekte Ort, um Ungewöhnliches zu wagen. Krause veranstaltete viele Performances und Kunstaktionen rund um den öffentlichen Raum, z.B. das Projekt „Daheim“: 2005 bewohnten 42 Künstler das große Eckhaus Oderberger/Ecke Kastanienallee, bevor das Haus saniert wurde und die neuen Eigentümer und Mieter einzogen. Er dokumentierte und kommentierte mit der vierteiligen Reihe „nachtbogen“ durch künstlerische Intervention im urbanen Raum der Oderberger Straße die radikale Umbruchzeit der Nachwendejahre. 1993 erfand er gemeinsam mit seinem Künstler-Kollegen Bert Papenfuß das „Knochengeld“, eine eigene Währung für den Prenzlauer Berg nach einer Idee des antiken Philosophen Diogenes, nach der Geld aus Knochen sein sollte, damit es verrottet und nicht gehortet werden kann. Die Geldscheine wurden von so berühmten Künstlern wie A. R. Penck, Klaus Staeck und Strawalde gestaltet, so dass sie entgegen der ursprünglichen Absicht heute an Wert extrem gewonnen, statt verloren haben.

Links

http://wolfgang-krause-projekte.de/aktuell/index.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Knochengeld

 

4. Jens-Holger Kirchner
Unter den Menschen, die in den 80er Jahren Teil der sehr bunten, bürgerbewegten Szene in der Oderberger waren, gibt es auch welche, die die Wende mittlerweile ziemlich weit nach oben gespült hat. Einer davon ist der ehemalige Baustadtrat von Prenzlauer Berg, Matthias Klipp. Und ein anderer der jetzige Baustadtrat von Pankow, Jens-Holger Kirchner.

Er zog als junger Mann 1979 nach Berlin, besetzte in der Knaackstraße eine Wohnung und arbeitete als Tischler für die Humboldt-Universität. Mitte der 80er gründete er gemeinsam mit Pädagogen, Architekten und Künstlern u.a. die sogenannte „Spielwagen“-Bewegung, die angelehnt war an die reformpädagogischen „Spielmobile“ in Westdeutschland. Das Ganze begann mit Kindergeburtstagen im öffentlichen Raum, also auf Spielplätzen und in Parks und zielte ab auf eine andere Art der Pädagogik und des Umgangs mit Kindern jenseits von Kindergarten, Schule, Pionierorganisation und FDJ. Dabei waren das freie Spiel, gewaltfreie Kommunikation und die offene Meinungsäußerung wichtige Bestandteil des Gegenkonzeptes zur „sozialistischen Erziehung“. Kirchner baute mit Gleichgesinnten einen Abenteuerspielplatz auf dem Kollwitzplatz und richtete dort einen Kinderladen ein. Später folgte die „Spiel-Unke“ in der Oderberger 44 - ein Kinderladen, den es auch nach der Wende noch lange Jahre gab, bis dann das Café „Kauf dich glücklich“ dort einzog.

1989 kam Kirchner über den Runden Tisch in die Politik, er wurde Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen und in der Bezirksverordnetenversammlung 2006 dann Stadtrat - erst für Ordnung und Verbraucherschutz (er führte die Smileys für Restaurants ein) und seit 2011 für Stadtentwicklung. Kirchner ist seinem Thema, der Gestaltung des öffentlichen Raumes also treu geblieben, allerdings steht er jetzt auf der „anderen Seite“.

Links

www.berliner-zeitung.de/berlin/jens-holger-kirchner-der-sonderweg-von-pankow,10809148,22273110.html

OL - Olaf Schwarzbach (© radioeins/Schuster)
OL - Olaf Schwarzbach (© radioeins)

5. OL, alias Olaf Schwarzbach
Wer malt die sparsamsten Strichmänneken und hat damit maximalen Erfolg? Klar, OL, der Mann, dessen bürgerlicher Nachnahme Schwarzbach bestens zu dem Stil seiner Comics passt. Denn schwarz ist sein Humor auf jeden Fall, meist sogar beißend und durchaus auch verletzend, wie wohl die von ihm karikierten „Mütter vom Kollwitzplatz“ es empfinden werden. Auch OL hat seine ganz eigene Geschichte mit der Oderberger Straße. Aufgewachsen bei seiner Tante in Potsdam, weil seine Mutter sich sehr jung das Leben nahm, kam Olaf Schwarzbach mit Anfang 20 nach Berlin. Der Kunstdrucker begann, inspiriert von den Comic-Autoren Gerhard Seyfried, Robert Crumb und Asterix-Zeichner Albert Uderzo, sein Leben im Prenzlauer Berg in kleinen Comic-Episoden zu verarbeiten, die er heimlich kopierte und unter Freunden verteilte. Mit seinem Freund Scheffel, der Anfang der 90er mit dem „NEMO“ eine der ersten Nachwendekneipen in der Oderberger aufmachte, durchzechte OL manche Nacht in dieser Straße, in der er zeitweise auch wohnte. Deshalb spielt die Oderberger auch in seiner Autobiografie „Forelle Blau“, die 2015 erschien, eine nicht unwesentliche Rolle. OL lebt nach seiner kurzzeitigen Flucht Anfang 1989 aus der DDR seit 1991 wieder in Berlin, er zeichnet Cartoons für diverse Zeitungen und Zeitschriften („Zitty“, „TIP“, „Berliner Zeitung“, „Titanic“) und seine bitterbösen Karikaturen der „Mütter vom Kollwitzplatz“ bzw. der „Väter vom Helmholtzplatz“ haben es sogar zwischen die Buchdeckel geschafft. Kritik daran lässt er nicht gelten: "Ich mache mich nicht über andere lustig - es geht nur darum, dass man über sich selbst lachen kann", sagt OL.

Links

www.rbb-online.de/kultur/beitrag/2015/02/Berlin-Cartoonist-OL-Olaf-Schwarzenbach-veroeffentlicht-Biografie-Forelle-grau.html

www.tagesspiegel.de/kultur/comics/forelle-grau-die-geschichte-von-ol-da-verstand-die-stasi-keinen-spass/11376776.html

www.morgenpost.de/kultur/berlin-kultur/article137456683/Den-Kollwitzplatz-in-Prenzlauer-Berg-gibt-es-auch-als-Comic.html

https://www.youtube.com/watch?v=yrjUPreyVgE

6. David Wagner
Der Schriftsteller David Wagner liebt es, durch Berlins Straßen zu schlendern. Für ihn ist die Stadt so etwas wie sein Büro. Das „Sich Verlaufen“ ist bei ihm Konzept, er beobachtet Menschen in ihrem Lebensraum, lässt sich beim stundenlangen Umherstreifen inspirieren für Texte, Artikel, Bücher. 1971 in Andernach geboren, studierte Wagner in Bonn, Paris und Berlin Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Im Jahr 2000 erschien sein Debütroman „Meine nachtblaue Hose“, in dem er eine Kindheit im Rheinland der siebziger und achtziger Jahre schildert. Wagner leidet unter einer Autoimmunhepatitis, weshalb er auf eine Lebertransplantation angewiesen war. Die Erfahrungen mit seiner Krankheit verarbeitete er in dem Buch „Leben“, das 2013 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt.

Auch über die Oderberger Straße, in der David Wagner seit vielen Jahren wohnt, hat er schon geschrieben: die Geschichte ist nachzulesen in seiner Essaysammlung „Welche Farbe hat Berlin.“ Oder hier:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/stadtleben/berliner-lebensadern-12-oderberger-strasse-wo-goetterbaeume-wuchern/1913372.html