Alt-Marzahn - Die Straße der Besten

Straße der Besten: Alt-Marzahn
Straße der Besten: Alt-Marzahn | © radioeins/Warnow

Hier hat der Sohn des obersten Bauherren von Marzahn noch selbst Hand angelegt und die Plattenbauten gebaut, die er dann mit seiner Familie bezog und bis heute bewohnt. Ein Sachse baute eine Mühle und begeistert sich und andere seit 25 Jahren für das gute, alte Müllerhandwerk. Und der ehemalige Chefarchitekt von Ostberlin kann sich an das gewaltigste Bauvorhaben seines Lebens noch lebhaft erinnen.

Dr. Oleg Peters

Er könnte „Mister Platte“ heißen, wenn nicht sein Vater diesen Titel schon bekommen hätte. Dr. Günter Peters war Stadtbaudirektor von Ostberlin und damit auch der oberste Bauchef von Marzahn, jedenfalls in den ersten Jahren. Sein Sohn Oleg überbrückt die Zeit vom Ende der Armeezeit bis zum Studium und malocht mit auf der Großbaustelle Marzahn. Als Anbinder beaufsichtigt er das Anhängen der tonnenschweren Platten an den Kran. -Ab 1981 studiert er dann in Leipzig Geschichte, kehrt dann aber nach Berlin zurück und zieht mit seiner Frau in einen Marzahner Neubau - in eine QP71-Zweiraumwohnung, wo Bad und Küche noch Fenster haben.

Peters arbeitet an der Humboldt-Universität-Berlin am Fachbereich Wirtschaftsgeschichte und arbeitet dort unter anderem die Geschichte von diversen Firmen auf. Das gibt ihm das nötige Rüstzeug, um sich nach der Wende 1991 im Bereich Denkmalschutz selbständig zu machen: Er erstellt Gutachten für denkmalgeschützte Gebäude, die saniert und neu genutzt werden sollen. 

Oleg Peters
Oleg Peters

Weil er sich bestens mit Baugeschichte auskennt, arbeitet Peters seit 2012 auch als Dienstleister für das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf und organisiert diverse Projekte. Das Geld holt er sich beim Senat. Damit sind er und seine Kollegen so erfolgreich, dass ein festes Standortmarketing beim Bezirksamt eingerichtet und Peters fest angestellt wird.
Man weiß dort zu schätzen, dass er eine sehr enge, persönliche Bindung zum Bezirk hat und beauftragt ihn, das Image von Marzahn zu verbessern, das nach Wende sehr gelitten hat.

Oleg Peters kümmert sich um den Tourismus, den Bereich Wohnen, die Industrie und um alles Grüne: wie z.B. die IGA 2017 und das jährliche "Klassikpicknick" im Schlosspark Biesdorf.

Über das Schloss Biesdorf hat Peters promoviert und sich 15 Jahre lang für dessen Wiederaufbau engagiert. Für ihn sind historische und moderne Gebäude gleichermaßen spannend. Wie auch für seinen Vater, der zwar einst seine Doktorarbeit über den Wiederaufbau des Arnimplatzes in Prenzlauer Berg geschrieben und viele denkmalgeschützte Gebäude im Zentrum saniert hatte, aber trotzdem voll und ganz hinter der Idee der Plattenbauweise stand, durch die Hunderttausende in kürzester Zeit lebenswerten Wohnraum bekamen. 

Roland Korn

Der letzte Chefarchitekt von Ostberlin machte eine für die DDR typische Karriere: Als Sohn eines Installateurs aus dem thüringischen Saalfeld wurde er zunächst Maurer und machte später an der Fachhochschule seinen Abschluss als Bauingenieur. Anfang der 1960er Jahre ging er dann nach Berlin. 

Günter Peters und Roland Korn am Marzahn-Modell
Günter Peters und Roland Korn am Marzahn-Modell

Unter seiner Leitung wurden u.a. das Amtsgebäude des Staatsrats der DDR mit dem historischen "Eosanderportal" des Stadtschlosses als auch das "höchste bewohnbare Gebäude der DDR" – das damalige "Hotel Stadt Berlin" (heute Park Inn) am Alexanderplatz gebaut. Ebenfalls dort wurde unter seiner Leitung "Das Haus des Reisens" (heute Weekend-Club) errichtet. Bei diesem 17-geschossigen Gebäude ließ Korn Anklänge an ein Wikingerschiff in die Gestaltung der Fassade einfließen. Parallel zu diesen Projekten absolvierte er ein Architektur-Studium an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar.

Immer wieder war Korns Expertise auch im Ausland gefragt: So sollte er in Bagdad für die Baath-Partei bezahlbaren, aber guten Wohnraum schaffen. Später beauftragte ihn die damalige chilenische Regierung unter Salvador Alende, Fertighäuser aus Holz zu entwerfen, um die vielerorts existierenden Slums in lebenswerte Wohngegenden umwandeln zu können.

1973 avancierte Korn dann offiziell zum Chefarchitekten von Ost-Berlin und bekam den Auftrag, im Osten der Stadt einen völlig neuen Stadtbezirk mit Wohnraum für 250.000 Menschen zu errichten - die heutigen Stadtteile Marzahn und Hellersdorf. Zur Vorbereitung sah er sich nicht nur in Prag und Moskau, sondern auch in Westberlin (Gropiusstadt und Märkisches Viertel) um. 

Müller Jürgen Wolf

Wenn jemand seinen Beruf als Berufung sieht, der man mehr oder weniger Tag und Nacht folgt, dann ist das Jürgen Wolf.

Der 1963 in der Nähe des sächsischen Wurzen Geborene zieht schon als Kind mit seinen Eltern nach Berlin, macht zunächst eine Tischlerlehre, geht dann auf Wanderschaft und studiert Mitte der 1980er Jahre Ingenieurpädagogik für Holztechnik. Dort lernt er die sozialistische Misswirtschaft kennen, bricht sein Studium ab und geht nach Dippoldiswalde in die Landwirtschaft. Hier betreut er einen riesigen Speicher für Getreide und findet so wieder zu seinen familiären Wurzeln zurück: Wolfs Großvater hatte im Sächsischen eine Wassermühle mit Sägewerk. 

Jürgen Wolf
Jürgen Wolf

Dieser Kindheitserinnerung folgend, kehrt der Tausendsassa 1990 nach Berlin zurück und beginnt, in der Osthafenmühle in Mitte zu arbeiten. Doch die hat keine Chance, den Kampf mit der Treuhand zu gewinnen. Wolf geht kurzerhand nach Leipzig und fängt als ABM-Kraft in der Döhlitzer Wassermühle an, macht sich dann als Fachberater für Mühlen selbständig und arbeitet u. a. mit dem Technikmuseum Berlin zusammen.

1993 dann gibt es eine Ausschreibung des Bezirksamts Marzahn für eine eigene Mühle. Die soll an historischer Stelle im Dorf Alt-Marzahn nach dem Vorbild der 1815 hier errichteten Bockwindmühle wieder aufgebaut und betrieben werden. Wolf wetzt die Krallen und ist der Mann der Stunde. Er baut mit Helfern eine Bockwindmühle auf, die seitdem ein stolzer Blickfang ist, wenn man auf der Landsberger Allee an Alt-Marzahn vorbeifährt.

Hier zeigt Wolf Schulkindern, wie so eine Mühle funktioniert und unterweist sie in der Kunst des Mehlmahlens, verheiratet Ehepaare, baut seine Mühle beständig weiter um und aus, beschützt sie bei Sturm und Starkregen und mahlt jedes Jahr den Roggen, der an der Kapelle der Versöhnung am Mauerdenkmal in der Bernauer Straße wächst.

1997 erhält Wolf dafür den Deutschen Mühlenpreis und zwei Jahre später die Verdienstmedaille von Marzahn. So sorgt er mit anderen Müllern dafür, dass die Unesco 2018 dem traditionellen Müllerhandwerk den Titel als "Immaterielles Kulturerbe der Menschheit" verleiht. Ein Ritterschlag für den stolzen und ewig begeisterten Müller Wolf.