Nazi-Parolen - Über die rhetorischen Strategien der Rechten

Ein Politiker wühlt die Menge mit aufrührerischer Sprache auf © imago images/Ikon Images/Eva Bee
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Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke steht seit heute in Halle wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung vor Gericht. Er muss sich in zwei Fällen wegen des Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation verantworten. Ihm wird vorgeworfen, bei zwei Auftritten in Thüringen und Sachsen-Anhalt verbotene SA-Losungen geäußert zu haben. Die rhetorischen Strategien der Rechten hält der Politologe und Extremismusforscher Prof. Dr. Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund für einen sehr gefährlichen Prozess. Die neurechte Idee dahinter nennt man kulturelle Subversion.

Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke steht ab heute wegen mutmaßlicher Nazi-Parolen vor Gericht. Bei einer Wahlveranstaltung 2021 in Sachsen-Anhalt beendete Höcke seine Rede mit "Alles für Deutschland", der Losung der sogenannten Sturmabteilung der Nazis. Dass es sich um eine SA-Parole handelt, will der ehemalige Geschichtslehrer Höcke nicht gewusst haben. Das sieht die Staatsanwaltschaft anders, schon allein weil Höcke diese Losung im letzten Jahr in Halle von seinem Publikum wiederholen ließ. Zu diesem Zeitpunkt war er schon angezeigt.

Das Interview mit Prof. Dr. Dierk Borstel in voller Länge:

Achtmal hat der Rechtsausschuss im thüringischen Landtag bisher die Immunität von Höcke aufgehoben. Verurteilt wurde er bisher nicht. Aber trotzdem scheint er so nach und nach die Grenze des Unsagbaren beziehungsweise dann auch Sagbaren zu verschieben. Welche Strategie verfolgt Höcke damit?

Borstel: Das ist eine ganz langsame, weiterläufige Strategie, sich wieder an die Unmenschlichkeit und an den Nationalsozialismus zu gewöhnen. Das heißt, die Idee, die dahintersteht, ist immer zwei Schritte voranzugehen und wenn er dann zurückgepfiffen wird, wieder einen Schritt zurück. Auch so kommt man voran. Das heißt, er formuliert es auch sehr klar, will neue rechte Ideologien, menschenfeindliche Ideologien wieder normalisieren. Und das geht über diesen Gewöhnungseffekt. Und er versucht jetzt einfach gezielt die Grenzen auszuloten, zu schauen, wo die Grenzen sind, um sie dann auch langfristig zu verschieben. Und von daher ist dieser Gerichtsprozess jetzt auch nicht unbedingt eine Kleinigkeit, dass er sich mal vertan hat auf einer Veranstaltung, sondern aus meiner Sicht Teil einfach eines politischen Handelns, an der langfristigen Idee, die er da verfolgt.

Das ist eine ganz langsame, weiterläufige Strategie, sich wieder an die Unmenschlichkeit und an den Nationalsozialismus zu gewöhnen."

Prof. Dr. Dierk Borstel, Politologe und Extremismusforscher

Er sagt aber selber, diese Naziparole hätte er noch nie gehört, was ziemlich erstaunlich ist, weil als Geschichtslehrer, ich glaube, er hat sogar einen Schwerpunkt in Nationalsozialismus, sollte er das Teil doch schon kennen. Wie glaubwürdig ist der Herr?

Borstel: Es ist eine von drei, vier zentralen Parolen des Nationalsozialismus gewesen, von einer Kernorganisation. Nun gilt erstmal für ihn auch die Unschuldsvermutung. Also es wäre auch denkbar ein Lateinlehrer, der noch nie „veni vidi vici“ gehört hat. Also das heißt, der Beleg, das muss das Gericht jetzt einfach bringen. Aber wer Geschichte unterrichtet, vor allem auf dem Niveau Gymnasium, Leistungskurs, Nationalsozialismus und auch als eine politische Kernforderung hat, eine veränderte Gedenkkultur zum Thema Nationalsozialismus, der wird diese Parolen kennen. Also von da halte ich das nicht für besonders glaubhaft.

Wer Geschichte unterrichtet, vor allem auf dem Niveau Gymnasium, Leistungskurs, Nationalsozialismus, [...] der wird diese Parolen kennen."

Prof. Dr. Dierk Borstel, Politologe und Extremismusforscher

Jetzt könnte man ja meinen, Höcke bedient mit diesen Äußerungen die Rechtsextremen in seiner Partei und die potenziell gemäßigten AfD-Wähler, die werden von solchen Naziparolen vielleicht eher abgeschreckt. Ist es so?

Borstel: An dem Punkt ist tatsächlich ein bisschen was dran, deswegen irritiert mich das auch ein bisschen. Weil wir bisher aus der Forschung eigentlich wissen, wenn Parteien am äußersten rechten Rand zu sehr auf klassische NS-Themen setzen, haben sie in der Regel verloren. Ich befürchte aber, dass dieses Tabu so langsam in sich zusammenbricht. Und da spielt genau diese Gewöhnung, von der ich eben erzählt habe, auch eine große Rolle. Das heißt, vielen Wählerinnen und Wählern ist es mittlerweile anscheinend relativ egal, wie sehr er dort auch in diesen knallharten rechtsextremen Feldern mittlerweile fischt. Und so verschwimmen halt langsam auch diese Tabuisierungen und auch wir gewöhnen uns Stück für Stück wieder dran, als wenn diese Parolen, als wenn auch die dahinterstehenden Ideen Teil einer Normalität wären. Und das ist tatsächlich ein sehr gefährlicher Prozess. Es kann aber auch sein, dass er einige Wählerinnen und Wähler, die jetzt eher aus Protest oder aus anderen auch emotionalen Gründen ihn vielleicht gewählt hätten, damit abschreckt. Aber ich glaube, dass er da ein sehr starkes und klares Kalkül hat und sich da eher auf der Gewinnerseite sieht.

Vielen Wählerinnen und Wählern ist es mittlerweile anscheinend relativ egal, wie sehr er dort auch in diesen knallharten rechtsextremen Feldern mittlerweile fischt."

Prof. Dr. Dierk Borstel, Politologe und Extremismusforscher

Glauben Sie denn, dass dieser Prozess dem Wahlkämpfer Höcke in irgendeiner Weise gefährlich werden kann? Oder macht er das, was ja ab und zu AfD-Politikerinnen und Politiker gerne machen, sich dann plötzlich in der Opferrolle suhlen?

Borstel: Das wird er auf jeden Fall machen. Das heißt, bei seinen Kernwählern wird er damit nicht verlieren, sondern die wird er eher bestätigen. Die werden ihn anfeuern. Diejenigen, die ihn bisher schon für einen Faschisten gehalten haben, werden ihn weiter für einen Faschisten halten. Von daher ist es interessant, was diejenigen in der Mitte machen werden, die in der Forschung als bewegliche Mitte bezeichnet werden. Und da, glaube ich, gibt es zwei gegensätzliche Tendenzen. Einerseits gibt es eine kleinere Gruppe in der Mitte, die jetzt nicht rechtsextrem sind, die sagen, der Staat soll sich aus diesen Feldern raushalten und Rechtsextremismus soll man politisch bekämpfen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass es Menschen gibt, die vielleicht die Option hatten, eine AfD zu wählen, die sagen, nein, knallharten Nationalsozialismus, den will ich dann doch nicht unterstützen. Aber das müssen die Wählerinnen und Wähler entscheiden.

Die Zielrichtung ist, diese menschenfeindlichen Ideologien, Rassismus, Antisemitismus wieder zu normalisieren. Das heißt, aus den Tabuecken rauszuholen, die nicht mehr unmittelbar mit Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen."

Prof. Dr. Dierk Borstel, Politologe und Extremismusforscher

Jetzt schauen wir mal auf die andere Seite, also aus der Partei heraus. Also jede andere Partei hätte wahrscheinlich mit dieser Anklage den Kandidaten aus dem Rennen um die Landtagswahl genommen. Warum ist die AfD da anders?

Borstel: Sie verfolgt eine neurechte Idee, und diese neurechte Idee oder Strategie setzt auf etwas, man nennt das kulturelle Subversion. Das heißt, die Zielrichtung ist, diese menschenfeindlichen Ideologien, Rassismus, Antisemitismus wieder zu normalisieren. Das heißt, aus den Tabuecken rauszuholen, die nicht mehr unmittelbar mit Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Und wenn das gelänge, also wenn das wieder Normalität ist, die man nicht richtig hinterfragen, nicht widersprechen kann, dann wäre das eben der Boden auch für eine nationalsozialistische Politik. Das heißt, die Partei selber nennt es Metapolitik, das heißt die kulturelle Vorbereitung eines langfristigen politischen Erfolges. Und das ist sozusagen die dahinter gehende Strategie, die Stück für Stück, Mosaikstein für Mosaikstein von der Seite gebaut wird. Und deswegen ist Höcke auch nicht im Widerspruch zu seiner Partei, sondern er geht für seine Partei tatsächlich da auch voran.