- Top 20 Alben 2018

Golden Hour von Kacey Musgraves
Golden Hour von Kacey Musgraves | © MCA Records
  1. Kacey Musgraves “Golden Hour”
  2. Luluc „Sculptor“
  3. Tracey Thorn “Record”
  4. John Prine “The Tree Of Forgiveness”
  5. Kurt Vile „Bottle It In”
  6. Charley Crockett “Lonesome As A Shadow”
  7. Marianne Faithfull  “Negative Capability” 
  8. Arctic Monkeys „Tranquilty Base Hotel + Casino“
  9. The Good, The Bad & The Queen “Merrie Land”
  10. The War And Treaty “Healing Tide”
  11. Joshua Hedley „Mr. Jukebox“
  12. Damien Jurado „The Horizon Just Laughed“
  13. Miles Kane „Coup De Grace“
  14. Shannon Shaw „Shannon In Nashville”
  15. Brandi Carlile “By The Way, I Forgive You”
  16. Rosanne Cash “She Remembers Everything”
  17. Sarah Nixey “Night Walks”
  18. Courtney Marie Andrews “May Your Kindness Remain”
  19. Alvin Lee Meldau “About You”
  20. Marlon Williams  “Make Way for Love”
   
     

Kacey Musgraves “Golden Hour”

 

Modern, selbstbewusst und Pop-verliebt mischt Kacey Musgraves das altehrwürdige Country Genre auf

Als Kacey Musgraves noch das local Cowgirl im kleinen Provinznest Golden im US Bundesstaat Texas war, konnte noch niemand ahnen, dass sie einmal zu den Stars der Erneuerer im Country gehören würde. Mädchenhaft und fröhlich trällerte sie ihren Honky Tonk, jodelte frisch von der Leber weg und hatte keine Skrupel Songs zu covern, die von Granden wie Johnny Cash deutlich überzeugender klingen: I’ve Been Everywhere. Ihre tatsächliche Welt spielte sich vorallem im Kopf ab. Sie hatte das Ohr am Radio, das sie mit Pop und Classic Rock versorgte, und später, mit den Jahren, gewann die Plattensammlung der Oma an Attraktivität: hier entdeckte sie die wahre Substanz der Country Kultur und mit ihr die stylischen Ladies: Loretta Lynn sang als Coalminer’s Daughter über das echte, harte Leben, brachte den feministischen Standpunkt in die Honky Tonks und war dabei genau wie Dolly Parton sexy, gut gelaunt und unterhaltsam. Neben Patsy Klein, Brenda Lee, Willie Nelson und dem humorvollen Roger Miller, wurde auch John Prine ein frühes Vorbild mit seinen schlauen, sarkastischen, menschfreundlichen Songs.  Zudem setzte die noch blutjunge Kacey Musgraves  auf ihrem Debüt 2002 der Pionierin und „Singing Cowgirl“ Patsy Montana ein Songdenkmal, die immerhin als erste weibliche Countrysängerin Millionen Platten verkaufte. 

Heute möchte die Geschichtsschreibung dieses erste Kapitel nicht mehr groß erwähnen, die Platten sind hoffnungslos vergriffen. Nicht so ihr 2013er Durchbruchsalbum Same Trailer, Different Park, auf dem sich die zu dem Zeitpunkt 25 jährige Texanerin als Musterschülerin ihrer Einflüsse erwies:    Angesiedelt im typisch amerikanischen White Trash Trailer Park, Heimat der prekär lebenden Unterschicht,  sang sie in ihren Songs von den Vergessenen, die aus Langeweile heiraten und mit 21 zwei Kinder haben: „Same hurt in every heart / Same trailer, different park“. Besonders die gute Schule in Humor prägt die bissigen Songs, sie teilt aus, wo sie nur kann und macht kein Geheimnis aus ihrer Liebe zum Marihuana, Willie Nelson lässt grüßen. „Follow Your Arrow“ wurde zur Hymne aller Freigeister und machte aus Kacey ein Darling der LGBT-Gemeinde, die sich in diesem Bekenntnis zur Freiheit und Vielfalt unbedingt wiederfinden.  Zwei Jahre später ging sie mit dem Album Pageant Material auf Konfrontationskurs mit Schönheitswahn und  Casting Shows, nahm das Country Business generell als Good Ol‘Boys Club auf die Hörner und attackierte Klatsch, Mobbing und hassvollen Neid, daß Merle Haggard nur so seine Freude hätte. Bei allem hat sie Spaß, reimt frech und melodienverliebt, spielt hier mit Soulnewcomer Leon Bridges, dort mit Altmeister Brian Wilson, und hat ein junges, urbanes, verzugsweise weibliches Publikum gewinnen können. Verwurzelt in der Tradition und doch eine unerschrockene Erneuerin – Kacey Musgraves ist die schärfste Geheimwaffe eines Genres, das um seine Zeitgemäßheit ringt, das endgültig weg vom Redneck- und Rassistenimage will, und das nach Innovation giert, ohne seine Stars gleich an die Kraken des überproduzierten Auto-Tune-Pops zu verlieren.

Wenn Hip-Hop Journalisten bereits im März das Country Album des Jahres küren, dann ist was faul.

Mit dem aktuellen Album Golden Hour hat das Country Genre und das des stetig aufblühenden Americana einen brisanten Testfall: Country or not Country. Mit seinen Trip-Pop-, Disco- und Burt Bacharach Momenten erscheint das Album von der Tradition entkoppelt, lyrische Angriffslust ist Innerlichkeit und Romantik gewichen. Wer das Album dafür lobt, unter dem Motto: endlich klingt Country nicht mehr nach Country, und es zum Highlight des Jahres erklärt (wie mehrfach geschehen) noch bevor ein Viertel davon vergangen ist, der hat nicht nur eine Hass-Agenda mit dem Genre, sondern vor allen Dingen eins: ein Hörproblem. „Keiner liebt Country mehr als ich, sagt Kacey Musgraves, „ich habe keine Veranlassung meine Spur zu verlassen. Banjo und Pedalsteel waren eine gute Ausgangsbasis, um auch Neues auszuprobieren und ganz bestimmt nicht eine Entschuldigung für ein trippy Pop Album um seiner selbst willen.“ Und das Neue hat zudem auch mit unruhigen, alarmistischen Zeiten zu tun, denn der ruhige, sphärische, Space Cowboy-Sound ist ihr ein übergeordnetes Anliegen: beruhigt Euch und lasst es langsam angehen, singt sie gleich im Opener Slow Burn, genießt das Leben und bleibt euch treu.  

Dabei geht sie mit gutem Vorbild voran. 2017 heiratete sie den Songwriter Ruston Kelley, mit dem sie aktuell auch auf Tournee ist, und entdeckt in den noch jungen Gefühlen ganz neue Seiten auch an sich.  Eben weil sie ihre Wurzeln nicht verleugnet, sondern mit neuen Einflüssen kombiniert, dabei starke Songs wie Butterflies, Happy & Sad und eben das grandiose Space Cowboy realisiert, hat das Album eine fruchtbare Diskussion ausgelöst. Kaum ein Genre ist so in Bewegung wie das von Nashville’s Music Row behütete Country Genre, und alle können hier nur profitieren – neue Traditionalisten wie Colter Wall ebenso wie Giganten von der Statur eines Chris Stapleton. Bleibt spannend.

Christine Heise