Sicherheitspolitik - Expertin Claudia Major über die Wichtigkeit der Münchner Sicherheitskonferenz

Münchner Sicherheitskonferenz © imago/photothek/Thomas Trutschel
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Die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) findet von heute bis Sonntag statt. Es ist die zweite seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, die erste seit dem Überfall der Hamas auf Israel und dem darauffolgenden Krieg zwischen Israel und der Hamas. Zum Rahmen der Konferenz gehört auch der Schatten, den die US-Wahl im Herbst wirft und die europäischen Bemühungen, verteidigungspolitisch unabhängiger zu werden. Die Sicherheitsexpertin Claudia Major erklärte auf radioeins, dass die MSC gerade jetzt, wo es von Russland bis Gaza geht, über künstliche Intelligenz und anderen Entwicklungen, so wichtig ist, dass es einen solchen Raum für Gespräche gibt.

Von heute bis Sonntag findet in München wieder die Sicherheitskonferenz statt, zum 60. Mal. Politikerinnen und Politiker aus aller Welt tauschen sich dann wieder über die aktuelle Weltlage aus, über Krisen und Konflikte. Nicht in München anwesend, doch als "Elephant in the room" bei allen Debatten dabei sein wird: Donald Trump. Nach seiner jüngsten Provokation der europäischen NATO-Partner wird eine Hauptfrage der Sicherheitskonferenz sein: Was wäre, wenn Trump tatsächlich wieder US-Präsident wird? Was hieße das für die Ukraine, die NATO, Europa?

Die Sicherheitskonferenz feiert ihr 60-jähriges Jubiläum. Sie ist bekannt eben für den informellen Charakter. Man spricht hinter den Kulissen und vertraulich. Welchen Stellenwert hat so eine Veranstaltung gerade jetzt?

Major: Meines Erachtens ist in so einer angespannten Weltlage, wie wir sie jetzt haben, ist es umso wichtiger, dass es Raum für Gespräche gibt, wie das Christoph Häusgen [Anm.d.Red.: der Chef der MSC] eben gesagt hat, ein Forum zum Austausch. Die MSC hat ja den offiziellen Teil, da wird live übertragen, da können alle zugucken. Das ist häufig eher so deklaratorisch. Aber darüber hinaus, und das ist für mich auch das Wichtige, bietet sie Raum für ganz viele Hintergrundgespräche. Also vertrauliche Gespräche, die jetzt meines Erachtens umso notwendiger sind. Da geht es ums Zuhören, da geht es ums Verstehen, da geht es um Möglichkeiten ausloten, gucken, was vielleicht doch noch geht. Und deswegen finde ich, dass sie gerade jetzt, wo es von Russland bis Gaza über künstliche Intelligenz und andere Entwicklungen so wichtig ist, dass es solchen Raum gibt.

Man muss überlegen, wie es mit der nuklearen Abschreckung weitergeht. Aber da sind die wichtigsten Ansprechpartner Frankreich und Großbritannien, die bereits jetzt zur nuklearen Abschreckung beitragen."

Sicherheitsexpertin Claudia Major

Lassen Sie uns in ein paar Themen mal ein bisschen detaillierter einsteigen. Nicht nach München eingeladen ist Donald Trump, aber trotzdem ein großes Thema. Seit Trump im US-Wahlkampf verkündet hat, dass er NATO-Mitglieder, die zu wenig für Verteidigung ausgeben, nicht vor einem Angriff Russlands schützen will, sind die anderen Bündnispartner in großer Aufregung. Ist die gerechtfertigt, oder sollte die NATO allein aus Prestigegründen schon besser selbstbewusster reagieren?

Major: Nun, der Generalsekretär der NATO, Generalsekretär Stoltenberg, hat ja recht selbstbewusst reagiert. Und auch der US-Präsident Biden, die haben das sofort abgeräumt. Aber natürlich verunsichern die Aussagen von Donald Trump, weil er damit ja die Basis der europäischen Verteidigung infrage stellt. Er stellt infrage, ob der wichtigste, stärkste Alliierte notfalls wirklich seine Zusagen einhält oder nicht. Und damit wäre, also ohne die USA, wäre Europa einer russischen Bedrohung ausgesetzt, für die es allein nicht aufgestellt ist. Und das ist natürlich zutiefst verunsichernd, weil die Basis für die NATO, das ist das Bekenntnis von 31 Alliierten, gerade der USA, dass sie füreinander einstehen. Das Signal nach innen, von Estland bis Portugal halten alle zusammen. Und das Signal nach außen, also an Russland, dass bei einem Angriff alle füreinander einstehen. Und wenn Trump das abräumt, ist natürlich völlig verständlich, dass alle europäischen Staaten extrem beunruhigt sind.

Zur Person:

Die Sicherheitsexpertin Claudia Major ist Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Aus dieser Verunsicherung hat sich jetzt auch eine Debatte über EU-Atomwaffen entwickelt. Und die USA melden jetzt auch noch, dass Russland sogar dabei sein soll, Atomwaffen fürs All zu entwickeln, die Satelliten ausschalten könnten. Braucht die EU Atomwaffen für die Abschreckung?

Major: Also die Europäische Union ist da der falsche Ansprechpartner. Ich glaube, man muss die Debatte mal ein bisschen wieder auf die Füße stellen. Die USA bieten politische, konventionelle und nukleare Sicherheitsgarantien. Das ist das Paket, was es insgesamt gibt. Wenn die USA als wichtigster Partner nicht mehr da sind, muss man überlegen, wie man diese drei Lücken füllt. Die politische Führung, die konventionellen Fähigkeiten, also von den Soldaten bis zum Schiff, bis zum Flugzeug, bis zum Enabler, also die Augen und Ohren. Und man muss überlegen, wie es mit der nuklearen Abschreckung weitergeht. Aber da sind die wichtigsten Ansprechpartner Frankreich und Großbritannien, die bereits jetzt zur nuklearen Abschreckung beitragen. Also dann wäre meine große Empfehlung, dass man an diese Debatte sehr ruhig rangeht und erst einmal schaut, was die verschiedenen Europäer zusammenbringen. Und ganz wichtig, dass die Europäer gemeinsam reagieren müssen und nicht jeder alleine wie so ein aufgescheuchtes Huhn rumrennt und guckt, wie er bilateral seine Probleme lösen kann. Also ganz wichtig, eine geeinte europäische Reaktion.

Sicherheitsabkommen sind ein wichtiger Schritt für die oder auf dem Weg in die Integration der Ukraine in die westlichen Strukturen, also EU und NATO."

Claudia Major

Noch ganz kurz zum Besuch von Wolodymyr Selenskyj, dem ukrainischen Präsidenten, heute in Berlin bei Bundeskanzler Scholz. Er trifft sich danach auch mit Frankreichs Präsident Macron in Paris um mit beiden bilaterale Sicherheitsabkommen zu unterzeichnen. Das heißt also, Deutschland wird damit so eine Art Schutzmacht für die Ukraine. Was bedeutet das?

Major: Diese Sicherheitsabkommen sind ein wichtiger Schritt für die oder auf dem Weg in die Integration der Ukraine in die westlichen Strukturen, also EU und NATO. Es ist keine Sicherheitsgarantie, das muss man ganz klar sagen. Also es ist nicht vergleichbar mit der NATO. Aber es ist ein Vertrag, mit dem sich Deutschland und Frankreich und andere Staaten, die Briten haben das schon unterzeichnet, länger verbindlicher in der Beziehung zur Ukraine verpflichten. Also das ist militärische Kooperation, wirtschaftliche Kooperation, technologische Kooperation, also eine enge Partnerschaft, aber keine Sicherheitsgarantie wie im Rahmen der NATO.