Die Radioeins Konzertkritik - Chappell Roan wird in Berlin gefeiert

Ein kommender Superstar gibt ihr einziges Deutschlandkonzert in Berlin und kaum jemand bekommt Wind davon? Tik-Tok, Spotify und Insta machen es möglich, eine Plattenfirma im Rücken zu haben ist förderlich, aber viel wichtiger ist, seine Community zu erreichen und das hat Chappell Roan geschafft. Gestern Abend spielte die Musikerin im Velodrom und ihr Konzert war seit Wochen ausverkauft. Fans reisten aus ganz Europa an, um sie zu erleben. Doch vielen wird der Name überhaupt nichts sagen.
Die 26-Jährige wuchs in einem kleinen Kaff in Missouri auf. Ihre Mutter hat Schweizer Wurzeln und ihr Künstlername ist eine Erinnerung an ihren Großvater, der Chappell hieß und ein Lieblingslied hatte, in dem das Wort Roan vorkam. Schon als Jugendliche lernte sie Klavier und schrieb ihre eigenen Songs. Aber aller Anfang ist schwer und da Chappell Roan ihre ersten Tracks in Corona-Zeiten veröffentlichte, klappte es zunächst nicht.
2023 veröffentlichte Roan dann ihr Album "The Rise and Fall of a Midwest Princess". Die Single "Good Luck Baby" wurde seitdem fast 1 Milliarde mal gestreamt und Chappell Roan spielt nun in einer anderen Liga. Vor allem innerhalb der LGBTQ-Community ist die Künstlerin sehr beliebt, aber mittlerweile auch weit darüber hinaus. Nicht nur Beyoncé, Katy Perry oder Elton John sind von ihr begeistert. Die Musikerin hat sich deshalb selbst "Your Favorite Artist’s Favorite Artist", ich bin "die Lieblingskünstlerin deines Lieblingsartists", genannt. Ihrem rasanten Aufstieg hat das nicht geschadet, ganz im Gegenteil.
Chappell Roan liebt es sich zu verkleiden, verschiedene Identitäten anzunehmen, ihre Outfits sind schrill, extravagant und sie bezeichnet sich gerne als Drag-Queen, obwohl sie bekennend lesbisch ist. Auch ihre biporale Störung und ihre psychischen Probleme verschweigt sie nicht. Für diese Offenheit und Ehrlichkeit wird sie von ihren Fans in den sozialen Medien gefeiert - bekommt im Netz aber auch viel Hass zu spüren.
Gestern Abend spielte Chappell Roan ihr einziges Deutschlandkonzert und die Vorfreude war in der Halle deutlich zu spüren. Drei Drag Queens eröffneten den Abend und wurden abgefeiert. Auch in der Umbaupause tanzen die Fans zu der Musik und sangen auch schon kräftig mit. Das sollte sich auch im Verlauf des Abends nicht ändern, denn gestern war Partytime angesagt.
Als Chappel Roan mit ihrer all female Band die Bühne betrat, gab es dann auch kein Halten mehr. Im Velodrom brach der Jubel los und die Smart Phones wurden gezückt. Die Band spielte in einem klassischen Rock-Setup, also Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Die drei Musikerinnen klangen auch rockig, aber sie spielten lupenreinen Pop. Chappell Roan hatte sich für ein rotes Fransenkleid entschieden, ein Kostüm, das an Saloon Sängerinnen in alten Hollywood Western erinnerte. Bilder von Marylin Monroe und Madonna kamen hoch, besonders schrill sah ihr Outfit nicht aus. Aber darum ging es auch nicht, denn Chappel Roan stellte sofort eine Nähe zum Publikum her, sie stilisierte sich nicht als Star, sondern vermittelte das Gefühl, ich bin eine von euch. Chappell Roan wirkte sehr natürlich, nahm alle mit, obwohl sie vor kurzem das „übergriffige Verhalten“ einiger Fans angeprangert hatte. Doch in Berlin fühlte sie sich sichtlich wohl und dankte ihren Fans für ihre Unterstützung.
Chappell Roan konzentrierte sich auf die Musik, wanderte die Bühne entlang, um nah bei den Fans zu sein. Durchchoreografiert wirkte an diesem Abend nichts. Chappell Roan konnte sich ganz auf ihren eindringlichen, kraftvollen Gesang verlassen und die Texte ihrer Songs trafen das Lebensgefühl ihrer Fans, die voller Leidenschaft mitsangen.
Chappell Roan ist eine Musikerin und kein Showgirl. Sie spielt Klavier, komponiert und textet alle Songs selbst, versteckt ihre Probleme nicht und wird dafür gefeiert. Das wurde besonders deutlich, als sie zwei Songs solo am E-Piano performte, ganz reduziert und unglaublich intensiv.
Wer gestern eine durchchoreografierte Show erwartet hatte, sah sich getäuscht, das Bühnenlicht war dezent, es gab kaum Visuals, und Chappell Roan wechselte ihr Outfit nicht einmal an diesem Abend. Aber darauf kam es auch nicht an. Nach knapp eineinhalb Stunden und zwei Zugaben verließ Chappell Roan unter Jubelstürmen die Bühne und ihre Fans traten mit glücklichen Gesichtern den Heimweg an.
Carsten Wehrhoff, radioeins