Rückblick: 29.000 Kinobesucher haben entschieden - Die Panorama Publikums-Preise 2017 gingen an "Insyriated" und "I Am Not Your Negro"

Das Team von "Insyriated": Regisseur Philippe Van Leeuw (mi.) sowie die Schauspielerinnen Hiam Abbass (3.v.r.), Diamand Abou Abboud (re.) und Juliette Navi (2.v.l.) © Panorama/Brigitte Dummer
Das Team von "Insyriated": Regisseur Philippe Van Leeuw (mi.) sowie die Schauspielerinnen Hiam Abbass (3.v.r.), Diamand Abou Abboud (re.) und Juliette Navi (2.v.l.) © Panorama/Brigitte Dummer | © Panorama/Brigitte Dummer

Der Panorama Publikums-Preis 2017 (Spielfilm) geht an die belgisch-französisch-libanesische Koproduktion "Insyriated" von Philippe Van Leeuw. Das Kammerspiel zeigt Menschen in einer extremen Situation, die extremes Verhalten mit sich bringt. Als bester Dokumentarfilm wurde "I Am Not Your Negro" (Frankreich/USA/Belgien/Schweiz) von Raoul Peck ausgezeichnet.

Das Berlinale-Publikum hat entschieden: Der belgisch-französisch-libanesische Spielfilm "Insyriated" hat den Panorama Publikums-Preis der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin gewonnen, der von radioeins in Zusammenarbeit mit der Panorama-Sektion der Berlinale und in diesem Jahr auch zum ersten Mal gemeinsam mit dem rbb Fernsehen verliehen wird.

Verzweifelt versucht die energische Oum Yazan, gespielt von Hiam Abbass, in Damaskus den Familienalltag aufrechtzuerhalten, während draußen der Krieg wütet. Man trifft sich mittags am großen Esstisch und versucht, gegen das Dröhnen der Bomben und Maschinengewehre anzusprechen. Es gibt kaum noch Wasser, jeder Gang vor die Tür ist gefährlich, weil auf den Dächern Scharfschützen positioniert sind. Der Großvater spielt mit dem kleinen Enkel, die älteste Tochter flirtet in ihrem Zimmer mit ihrem Freund. Nebenan plant ein junges Pärchen mit Baby die Flucht. Von oben hört man bedrohliche Geräusche.

Es braucht nur wenige Einstellungen, um den Zuschauer in den permanenten Ausnahmezustand eines Krieges hineinzuziehen. Die Wohnung, einst trautes Heim, ist zum Gefängnis geworden. Philippe Van Leeuws Kammerspiel zeigt Menschen in einer extremen Situation, die extremes Verhalten mit sich bringt. Jede Entscheidung kann existenziell sein: Ist es moralisch zu verantworten, ein Familienmitglied zu opfern, um das Überleben der anderen zu garantieren?

Hiam Abbass, Hauptdarstellerin in "Insyriated" (Panorama), im Berlinale Nighttalk (12.02.2017) © snapshot-photography/T. Seeliger
Hiam Abbass, Hauptdarstellerin in "Insyriated" (Panorama), im Berlinale Nighttalk (12.02.2017) © snapshot-photography/T. Seeliger

Der zweite Platz geht an "Karera ga Honki de Amu toki wa" ("Close-Knit", Japan) von Naoko Ogigami. Wie schon in ihrem letzten Film Rentaneko (Panorama 2012) erzählt die japanische Regisseurin Naoko Ogigami von Wegen aus der Einsamkeit, die im Fall von Tomo und ihrer neuen Familie mit menschlicher Wärme, gutem Essen und dem Stricken als symbolischem Akt beschrieben werden.

Ferenc Töröks "1945" (Ungarn) wurde vom Publikum auf den dritten Platz gewählt. In scharf konturiertem Schwarz-Weiß, ohne jeden Anflug von Folklorismus, skizziert Török das Geflecht von Schuld und Sühne. Das Panorama eines ungarischen Dorfes als Spiegel gesellschaftlichen Versagens.

Die Produzenten von "I Am Not Your Negro": Rémi Grellety, Raoul Peck (Regie) und Hébert Peck (v.l.n.r.) © Panorama/Brigitte Dummer
Die Produzenten von "I Am Not Your Negro": Rémi Grellety, Raoul Peck (Regie) und Hébert Peck (v.l.n.r.) © Panorama/Brigitte Dummer

Dokumentarfilm-Publikumsliebling der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2017 wurde "I Am Not Your Negro" von Raoul Peck


Im Juni 1979 beginnt der bedeutende US-Autor James Baldwin seinen letzten, unvollendet gebliebenen Text „Remember This House“. Mit persönlichen Erinnerungen an seine drei ermordeten Bürgerrechtler-Freunde Malcolm X, Medgar Evers und Martin Luther King und Reflexionen der eigenen, schmerzhaften Lebenserfahrung als Schwarzer schreibt er die Geschichte Amerikas neu.

Raoul Peck inszeniert die 30 bislang unveröffentlichten Manuskriptseiten mit einer fulminanten Collage von Archivfotos, Filmausschnitten und Nachrichten-Clips: die Boykottinitiativen und den Widerstand gegen die Rassentrennung in den 1950er- und 60er-Jahren, die Unsichtbarkeit von Schwarzen in den Kinomythen Hollywoods, afroamerikanische Proteste gegen weiße Polizeigewalt bis in die jüngste Gegenwart, Baldwins kompliziertes Verhältnis zur Black-Power-Bewegung, den paranoiden Blick eines FBI-Berichts auf dessen Homosexualität. Ein prägnanter und verstörender Essay über die bis heute vom Mainstream weitgehend ausgeblendete Wirklichkeit schwarzer Amerikaner. Samuel L. Jacksons Stimme verleiht der poetisch-meditativen Sprache Baldwins einen angemessenen Ausdruck.

Der zweite Platz geht an "Chavela" (USA) von Catherine Gund und Daresha Kyi, Platz drei an "Istiyad Ashbah" ("Ghost Hunting", Frankreich/Palästina/Schweiz/Katar) von Raed Andoni.

I Am Not Your Negro © Berlinale
I Am Not Your Negro © Berlinale

Knapp 29.000 Stimmen wurden in diesem Jahr abgegeben und ausgewertet


Die offizielle Preisverleihung fand am Berlinale Publikumstag, Sonntag, den 19. Februar 2017, um 17.00 Uhr im CinemaxX 7 am Potsdamer Platz statt. rbb-Intendantin Patricia Schlesinger zeichnete die Preisträger in einer feierlichen Preisverleihung aus. Knut Elstermann, radioeins-Filmexperte, führte gemeinsam mit Panorama-Leiter Wieland Speck durch die Veranstaltung. Im Anschluss wurden die Gewinner-Filme noch einmal aufgeführt. Der Preisträger des Panorama Spielfilms wurde direkt im Anschluss an die Preisverleihung gezeigt, der ausgezeichnete Dokumentarfilm um 20.00 Uhr, ebenfalls im CinemaxX 7.

Galerie PPP Preisverleihung


Der Panorama Publikums-Preis wird seit 1999 von radioeins in Zusammenarbeit mit der Panorama-Sektion der Berlinale verliehen, in diesem Jahr auch zum ersten Mal gemeinsam mit dem rbb Fernsehen. Seit 2011 wird sowohl der beste Spielfilm als auch der beste Dokumentarfilm geehrt.

Während der Berlinale werden alle Kinobesucher aufgerufen, per Stimmkarte die Filme der Sektion Panorama zu bewerten. Insgesamt wurden 29.000 Stimmen abgegeben und ausgewertet. 

Das Panorama präsentierte in diesem Jahr 50 Langfilme aus 43 Ländern, davon 21 in der Reihe Panorama Dokumente. Alle Filme im Panorama feierten auf der Berlinale ihre Welt- oder Europapremieren.

Zusatzinformationen: Berlinale