Allein schon am Titel seines neuen Buches lässt sich die Erzähl- und Fabulierlust von Saša Stanišić ablesen. Es heißt: "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne". Stets geht es bei dem 1978 im bosnischen Višegrad geborenen Autor um existenzielle Dinge. So handelt sein erster Roman "Wie der Soldat das Grammophon repariert" von einem Jungen der – wie Stanišić selbst – mit seinen Eltern vor dem Krieg in Bosnien-Herzegowina nach Deutschland floh.
In seinem mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman "Herkunft" machte er die Demenzerkrankung seiner Großmutter zum Thema, in "Vor dem Fest" das Aufkommen faschistischer Tendenzen. Von alldem erzählt Stanišić immer mit einem Element von Humor. Es ist ein Humor, der den Schrecken nicht verharmlost, sondern ihn noch größer macht – uns aber erlaubt, den Schrecken zu betrachten.
Das kommt nicht nur in Deutschland gut an, sondern auch international. Allein "Wie der Soldat das Grammophon repariert" wurde in 30 Sprachen übersetzt. So kommt mit Stanišić, der in Hamburg lebt, ein internationaler Literaturstar in den Großen Sendesaal – zur Deutschlandpremiere seiner neuen Geschichtensammlung mit dem gerne nochmal genannten, weil unwiderstehlichem Titel: "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne".
Rote Fäden, die das Buch durchziehen, sind Fragen wie: Wie prägen Entscheidungen unser Leben? Wie verhalten wir uns vor so großen Ideen wie "Gut" und "Böse" oder dem "Sinn des Lebens" eingeklemmt zwischen unserem alltäglichen Kleinkram?
Da ist zum Beispiel die Geschichte eines Vaters, der mit seinem Sohn Memory spielt. Der Sohn ist acht Jahre alt und beim Memory unbesiegbar. Der Vater wird von Selbstzweifeln zernagt, aber auch von Ideen wie: "Das Kind muss lernen, ein guter Verlierer zu sein." Deshalb beschließt der Vater, seinen Sohn beim Memory-Spielen zu betrügen.
In einer anderen Geschichte geht es um einen Schriftsteller, der beschließt, zum ersten Mal nach Helgoland zu reisen, und dann, dort angekommen, feststellt, dass er schon mal dagewesen ist. Das sind die skurrilen Ausgangssituationen; dann geht die Geschichte erst richtig los.
Bekannt ist Saša Stanišić zudem für seine grandiosen Lesungen. Unvergessen ist die Eröffnungsveranstaltung von "Berlin liest ein Buch" im Jahr 2022 – in deren Mittelpunkt Stanišić‘ Roman "Herkunft" stand. In der Lesung ließ er das Publikum entscheiden, wie die Handlung weitergehen soll.
Also: Ein ganz besonderer Abend erwartet uns – mit einem Lächeln, wie es wohl die Witwe zeigt, wenn sie angesprochen wird. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Luchterhand Verlag statt. Durch den Abend führt radioeins-Literaturagent Thomas Böhm. radioeins überträgt die Veranstaltung live im Radio und im Videolivstream.
Saša Stanišić: "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne", Luchterhand, 368 Seiten, 24 €
Zum Autor:
Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad (Jugoslawien) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Erzählungen und Romane wurden in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Saša Stanišić erhielt u. a. den Preis der Leipziger Buchmesse für "Vor dem Fest" und für "Herkunft" den Deutschen Buchpreis 2019 sowie u. a. den Eichendorff-Literaturpreis, den Schillerpreis und den Hans-Fallada-Preis. "Herkunft" stand auch im Mittelpunkt der rbb-Aktion "Berlin liest ein Buch" 2022. Saša Stanišić lebt und arbeitet in Hamburg.