Manfred-von-Richthofen-Straße - Litfaßsäule

Litfaßsäule - Manfred-von-Richthofen-Straße
Litfaßsäule - Manfred-von-Richthofen-Straße | © radioeins/Warnow

Der Jazz-Musiker „Papa Henschel“ ist, neben dem Regierenden natürlich, wahrscheinlich der bekannteste Anwohner des Fliegerviertels. Er kennt die Manfred-von-Richthofen-Straße wie seine Westentasche und spielte mit seiner Band „Salty-Dogs“ auf gefühlt jeder Swing- und Jazz-Bühne der Stadt. Und nicht nur dort...

Papa Henschel

Horst „Papa“ Henschel wurde 1929 in Schlesien geboren und kam 1933 mit seinen Eltern und Geschwistern nach Berlin.

Er studierte Starkstromtechnik, arbeitete dann lange bei der AEG am Gesundbrunnen, wo er elektrische Maschinen baute, bis die Fabrik in den 1983 geschlossen wurde
Doch eigentlich gehörte sein Herz der Jazz-Musik. Henschel kaufte sich zuerst ein Jazzkornett, stieg später auf Trompete um, blieb aber immer ein Autodidakt. Den Spitznamen „Papa“ bekommt er schon mit Anfang 20 verpasst, weil so auch viele berühmte Jazz-Trompeter aus den Staaten genannt werden. Trotzdem ist der junge Henschel damals nicht glücklich darüber, doch der Name bleibt.

1950 gründete er mit Freunden erst die ‚New Berlin Rythm Kings’, dann die ‚New Orleans Jazz Band’, die es bis Mitte der 1950er gab. Daraus wurden 1956 die ‚Salty Dogs’, die bis heute existieren und auch immer noch auftreten – mit Jazzlegende Papa Henschel an der Trompete und am Mikrofon.

Horst und Ewa Henschel © radioeins/Mücke
Horst und Ewa Henschel

Ab 1984 lebte Papa Henschel dann nur noch von der Musik und das sehr gut. Die ‚Salty Dogs’ spielten auf dem jährlichen Presseball, im Steigenberger, auf Schulbällen und in der Freien Universität. Henschel und seine Mitmusiker verkleiden sich als Damenkapelle, tragen Perücken und Strumpfhosen. Und jeden Sonntag spielt er mit der ‚Nolle-Dixieland-Band’, später ‚Nolle-Salonorchester’ zum Frühschoppen in der „Nolle. Die urige Berliner Szenekneipe im Jugendstil der 1920er Jahre befand sich auf dem U-Bahnhof Nollendorplatz, wo die Hochbahnstrecke nach dem Mauerbau stillgelegt worden war. Ab Herbst 1973 dienten dort Waggons aus den 20er Jahren als Antiquitäten- und Flohmarkt. In einem Gebäude des 1902 eingeweihten Bahnhofes fand die Kneipe „Nolle“ ihren Sitz. Wenn Sonntagmorgens die Gitter zum Bahnhof geöffnet wurden, stürmten Berliner und Touristen regelrecht die ‚Nolle’, um einen guten Platz zu ergattern.

1960 zog Henschel, der in Treptow groß geworden war, in eine kleine Wohnung in der Manfred-von-Richthofen-Str. 13, später wechselte er mit seiner Frau Ewa und den Kindern dort in eine größere Wohnung, wo die beiden noch heute leben. Eine hochherrschaftliche Behausung mit Dienstbotenkammer, die früher sogar eine eigene Wendeltreppe hatte, über die der Müll entsorgt werden musste. Ein typischer Bau aus dem Jahr 1913 für Offiziere und andere vermögende Berliner aus der Oberschicht. Papa Henschel hat viele Menschen kommen und gehen sehen, hat die wechselnden Zeiten in dieser Ecke von Tempelhof erlebt. Er und seine Frau leben immer noch gerne hier, schlendern durch die Straße und unterhalten sich mit den Alteingesessenen wie dem ehemaligen Bäckermeister, den hier alle ‚Bürgermeister’ nennen und der fast jeden Tag in der jetzigen Bäckerei sitzt, die mal seine war. Doch genauso gern plaudern sie mit den Neuzugezogenen, die sich im "Madame Tee" treffen.

Anna LeVine Winger

Die us-amerikanische Schriftstellerin lebt schon lange in Berlin und einige Jahre davon in Tempelhof. Sie entwickelte und produzierte gemeinsam mit Ehemann Jörg Winger für die TV-Serie „Deutschland 83“, in der es um das Leben in Ost- und Westdeutschland zu Zeiten des Kalten Krieges geht. Es folgte „Deutschland 86“ und derzeit in Arbeit ist „Deutschland 89“.

Für die Arbeit an diesem großen Projekt gründete Winger eine Firma mit Sitz im alten Flughafen Tempelhof. Ihr Name - Studio Airlift – verweist auf den ursprünglichen Standort. Inzwischen sitzt „Airlift“ einige hundert Meter weiter in der Manfred-von-Richthofen-Straße.

Winger arbeitet aber auch an anderen Projekten. So verfilmt sie gerade die Emanzipationsgeschichte von Deborah Feldmann, einer amerikanischen Jüdin wie Winger, die aber aus einer ultra-orthodoxen Familie stammt. Der semi-autobiografische Roman von Feldmann dient als Vorlage für die Geschichte einer Frau, die sich mit viel Kraft und Mut aus einem Leben als unterdrückte, entrechtete Frau befreit.

Winger schreibt außerdem für ‚The New York Times Magazine’ und die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung’. Für NPR Worldwide konzipierte Winger die Radioserie „Berlin Stories“, ein literarisches Archiv über die deutsche Hauptstadt.

Buchdruckerei J. + M. Müller

Die Druckerei gehörte dem Vater von Michael Müller, dem jetzigen Regierenden Bürgermeister von Berlin, der im Kiez aufgewachsen ist und heute noch dort lebt. Sie zählt zu den letzten Buchdruckereien in Berlin, die nach dem Prinzip Gutenbergs mit beweglichen Lettern und Bleisatz arbeiten. Eröffnet hatte sie Jürgen Müller am 15. November 1962, damals noch in Neukölln, bevor er dann sowohl mit der Familie als auch mit seiner Druckerei nach Tempelhof zog. Zehn Jahre lang arbeitete auch sein Sohn Michael, der selber gelernter Drucker ist, im väterlichen Kleinbetrieb, führte den modernen Offset-Druck ein.

Buchdruckerei Jürgen & Michael Müller
Buchdruckerei Jürgen & Michael Müller

Doch Michael Müller übernahm den Betrieb seines Vaters nicht, sondern entschied sich für die Politik. Schließlich war sein Vater selber zehn Jahre lang Bezirksabgeordneter der SPD in Tempelhof. Allerdings hat der Regierende sein Wahlkreisbüro in den Räumen der Druckerei, was 2016 zu Vorwürfen führte, er würde die Pauschale, die Abgeordnete für ihr Wahlkreisbüro aus der Staatskasse erhalten, in familieneigene Taschen fließen lassen. Doch sein Vater Jürgen Müller starb bereits Ende 2015 und die Druckerei wurde von einem anderen Betreiber übernommen. An ihn zahlt Müller nun die Miete für das Büro. Das Schild "J. + M. Müller" steht aber bis heute über der Druckerei und ab und zu kann man den Regierenden hier auch antreffen. Die Nähe zu seinem Kiez und dem Vermächtnis seines Vaters ist Michael Müller wichtig.

Adresse:
Manfred-von-Richthofen-Straße 19/Ecke Bayernring

Tel.:
030-78898498
030-7862760

Kapitulation

Einen Steinwurf weit entfernt von der Manfred-von-Richthofen-Str., im Schulenburgring 2, wurde im Mai 1945 Weltgeschichte geschrieben. In der Erdgeschosswohnung von Frau Anni Goebels hatte sich vom 27. April bis zum 4. Mai der Kommandostab der sowjetischen 8. Gardearmee unter dem Generaloberst und späteren Marschall Wassili I. Tschuikow einquartiert. Eine Etage darüber war in dem Gründerzeitbau der Generalstab der 1. Gardepanzerarmee untergebracht. Von dort gab General Katukow die Befehle zur Einnahme der Reichskanzlei und des Berliner Reichstages.

Schulenburgring Ecke Manfred-von-Richthofen-Straße
Schulenburgring Ecke Manfred-von-Richthofen-Straße

Die sowjetische Armeeführung hatte diesen Ort nicht nur wegen der hochherrschaftlichen Wohnungen in dieser großbürgerlichen Gegend ausgewählt: Ganz in der Nähe befindet sich der ehemalige Flughafen Tempelhof, von dem aus viele Nazis noch in den letzten Tagen zu fliehen versuchten.

Am späten Vormittag des 2. Mai fand sich General Weidling, Kommandeur des 56. Panzerkorps und letzter Befehlshaber des Verteidigungsbereichs Berlin, im Schulenburgring 2 ein. Der vorherige Unterhändler, General Krebs, der mit der sowjetischen Armee einen Waffenstillstand aushandeln sollte, hatte am Vortag Selbstmord begangen. Denn die Alliierten bestanden auf der vollständigen Kapitulation des Deutschen Reiches. Nun unterzeichnete Weidling endlich den Kapitulationsbefehl an die Soldaten der Berliner Garnison. Sie beginnt mit dem Satz:

"Am 30.4.45 hat sich der Führer selbst entleibt und damit uns, die wir ihm die Treue geschworen hatten, im Stich gelassen."

Es folgt die Einsicht:

"Jeder, der jetzt noch im Kampf um Berlin fällt, bringt seine Opfer umsonst".

Nach der Übergabe dieser Urkunde, die heute im Moskauer Armeemuseum ausgestellt ist, wurden die letzten Kampfhandlungen in der Hauptstadt des untergegangenen Deutschen Reiches eingestellt. Für Berlin war damit der 2. Weltkrieg beendet. Sechs Tage später wurde dann in Berlin-Karlshorst die Kapitulation für ganz Deutschland unterzeichnet.

Am Haus Schulenburgring 2, aus dem während des Krieges drei jüdische Bewohner deportiert und ermordet worden waren, erinnert eine Gedenktafel an die historischen Ereignisse.

Und einige Jahre später wächst ausgerechnet in diesem Hus der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, auf.