Großbritannien - Absolute Radio nicht mehr auf Mittelwelle

Sender Moorside Edge
Einer der magischen Orte auf den Skalen alter Röhrenradios: Moorside Edge, zwischen Manchester und Leeds | © John Slater, CC-BY-SA

Seit dem 26. Januar 2023 ist die erste der landesweiten Mittelwellenketten in Großbritannien außer Betrieb. In diesem Fall ging die Abschaltung nicht so geräuschlos über die Bühne, wie man es sonst gewohnt ist. Vielmehr verabschiedete Absolute Radio sich in würdiger Form von der Mittelwelle – und sieht sich nun mit der Androhung eines Bußgelds konfrontiert.

Die letzten zehn Minuten Programmbetrieb auf Mittelwelle gestaltete Absolute Radio mit einer Collage (Mitschnitt auch hier zu haben), die den ganzen Bogen über die Nutzung der Frequenz 1214/1215 kHz spannt; beginnend beim einstigen, hier ergänzend zur Langwelle ausgestrahlten Light Programme.

Somit erklang auch eine Stimme, von der niemand gedacht hätte, sie nach fast vier Jahrzehnten noch einmal auf 1215 kHz zu hören: Cormac Rigby, der einstige Chefsprecher von BBC Radio 3. Er hatte es verstanden, dem Auftritt des Kulturprogramms eine persönlich-empathische Note zu geben.

Zuvor war das ursprüngliche Third Programme von einer eisig-elitären Anmutung geprägt. Dem war so, obwohl der damalige Generaldirektor der BBC zum Sendestart 1946 behauptete, das Programm wende sich nicht nur an eine Klasse.

In dem inzwischen entwickelten Stil, nicht auf Sarkasmus verzichtend, gestaltete sich 1992 auch der Rückzug von Radio 3 aus der AM-Verbreitung. Nachdem die UKW-Frequenzen auf Endstichwort zur nächtlichen Sendepause weggeschaltet waren, gab es exklusiv auf Mittelwelle noch einen besonderen Abschied.

Radio 3 sendete ab 1978 auf der schwächsten Mittelwellenkette der BBC, weil das schon seinerzeit nur noch eine Ergänzung zu UKW war. Zu den Aktionen, die das Publikum mit der Frequenzrochade vertraut machen sollten, gehörte eine außergewöhnliche Zusammenschaltung.

Erst zehn Jahre später bekam Radio 1 (nunmehr seinerseits in der Rolle des BBC-Programms, das eisig wirken konnte) eine eigene UKW-Kette und tönte fortan, „One FM“ zu sein. Nur weitere sechs Jahre vergingen, dann hatte Radio 1 sich seinerseits von der Mittelwelle zu verabschieden.

How you listen to Absolute Radio could be changing: We're saying goodbye to AM.
Unauffälliger Abschalthinweis | © planetradio.co.uk

Zurück in der Gegenwart ist zunächst festzuhalten, wie Absolute Radio seinen Abschied von der Mittelwelle auch nur dort prominent gestaltete. Auf diese Weise ersparte man sich rituelle Beschwerden von Leuten, die in Wahrheit schon seit vielen Jahren nicht mehr eingeschaltet haben.

Mit Anbruch (Ortszeit; 1.00 Uhr MEZ) des 20. Januar blieb nur noch eine branchenübliche Hinweisschleife zurück. Was dann folgte, war wiederum eine einmalige Prozedur: Eine schrittweise, über eine Woche hingezogene, mit ungewollten Effekten verbundene Stillsetzung des Sendernetzes.

So verschwanden im Laufe des 25. Januar im Abstand von etwa einer Stunde die Signale von Moorside Edge und von Brookmans Park (London). Als allerletzter ausgeschaltet wurde am 26. Januar der Sender in Lisnagarvey bei Belfast, also ausgerechnet in Nordirland.

Während der schrittweisen Abschaltung kam von verschiedenen Orten der Kommentar, der Empfang auf 1215 kHz sei besser als je zuvor, nun ohne Echos und Verzerrungen. Der Versuch, mit einem Gleichwellennetz auf einer einzigen Mittelwellenfrequenz ganz Großbritannien zu versorgen, hatte die Möglichkeiten dieser Betriebsweise offensichtlich überstrapaziert.

Steilstrahler Burg
Ebenfalls nicht mehr vorhanden: Die Steilstrahlantenne 1575 kHz in Burg | © Kai Ludwig
Sender Wachenbrunn
Ebenfalls nicht mehr vorhanden: Die um einen zweiten Mast ergänzte Antenne 882 kHz in Wachenbrunn | © Kai Ludwig

Das passierte auch der Post in der DDR, indem sie ab 1978 für Radio DDR 1 jeweils 250 kW starke Sender in Wilsdruff bei Dresden, in Burg bei Magdeburg und in Wachenbrunn bei Themar gemeinsam auf 1044 kHz betrieb. Außerhalb des näheren Umfelds dieser Stationen kam eine ungenießbare Echosuppe heraus.

Erste Lösung war, die Ausstrahlungen aus Burg und Wachenbrunn auf 20 kW zurückzunehmen. Im letzteren Fall konnte dafür ein Sender genutzt werden, der ursprünglich in Erfurt stand und, als dieser Standort mit dem Umzug der Regionalprogramme auf UKW wegfiel, nach Wachenbrunn umgesetzt wurde. In Burg blieb nur, einen fahrbaren Sender vor den Technikgebäuden zu parken.

Da auch das noch keine völlige Abhilfe brachte, wurden diese beiden Sender 1987 auf 1089 kHz umgestellt. Für die freigesetzten Anlagen mit 250 kW Leistung hatte sich bereits andere Verwendung gefunden: In Burg die neue Nachtfrequenz 1575 kHz, in Wachenbrunn die zuvor aus Königs Wusterhausen betriebene Frequenz 882 kHz.

Das erforderte den Aufbau neuer Antennen: In Burg einen Steilstrahler zur Nachtversorgung des DDR-Gebiets (die zuletzt praktizierte Nutzung der Frequenz für Radio Berlin International war eine Entscheidung der beratungsresistenten Rundfunkleitung), in Wachenbrunn einen aus Berlin-Köpenick umgesetzten Mast zur Ausblendung in Richtung Jugoslawien.

Virgin Radio, 2003
Als man die Mittelwelle noch prominent präsentierte: 2003 | © virginradio.co.uk

Nach dem Mittelwellen-Rückzug von BBC Radio 3 gab es zunächst neutrale Sendeversuche, welche die Nutzung der Frequenzen für eine zweite landesweite Privatkette ankündigten. Zu deren Start kam es erst nach einem Jahr. 1995 gelang es, auch noch eine UKW-Frequenz in London zu beschaffen. Damit änderte sich der ursprüngliche Name „Virgin 1215“ zu „Virgin Radio“.

Ab 2000 befand sich Virgin Radio im Eigentum der schottischen Mediengruppe STV. 2006 kündigte die damalige Geschäftsführerin mit markigen Worten an, die Ausstrahlung auf Mittelwelle bis 2010 einstellen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt war das mit 70 Prozent noch der meistgenutzte Verbreitungsweg von Virgin Radio.

Mit jener Geschäftsführung hatte es sich jedoch kurz danach erledigt. 2008 wurde der Sender nach Indien verkauft. Dadurch erloschen die Rechte zur Nutzung der Marke Virgin, was in die Einführung des heutigen Namens mündete.

Hintergrund war ein regelrechter Kollaps der Hörerbeteiligung. Erreichte Virgin Radio im Jahre 2000 noch 4,2 Millionen Hörer pro Woche, waren es 2008 lediglich 2,5 Millionen. Bis 2010 halbierte sich die Zahl noch einmal auf 1,4 Millionen.

Somit verloren die indischen Eigentümer schnell wieder das Interesse an ihrem neuen Spielzeug. 2013 kam Absolute Radio zu seinem heutigen Betreiber, Bauer Media.

Zuvor stand 2011 erneut ein Verzicht auf die Mittelwelle im Raum. Wie es aussieht, räumte die Medienanstalt Ofcom das Thema damals hinter den Kulissen ab, indem sie eine maßgebliche Reduzierung der von ihr erhobenen Lizenzgebühren gewährte.

2018, als sich die Hörerzahlen von Absolute Radio wieder auf 2,5 Millionen erholt hatten, startete die Medienanstalt ein Konsultationsverfahren zur „Reduzierung der Mittelwellenversorgung“. Grund: Der abstrakte, auf bestimmten Parametern (also nicht etwa einem Unterschied zwischen „hörbar“ und „nicht hörbar“) beruhende Versorgungsgrad sollte von 90,5 auf 88,8 Prozent sinken.

Sender Occombe
Einer der 2018 von Absolute Radio aufgegebenen Kleinsender: Occombe (Tor Bay) | © Crispin Purdye, CC-BY-SA
Arqiva
Übertragungswagen von Arqiva, hier 2011 in Dresden | © Kai Ludwig

Dabei ging es zum einen um die Abschaltung von zwölf der insgesamt 27 Kleinsender dieses Netzes. Ein Teil dieser Füllsender arbeitete (bis zuletzt) nicht auf 1215 kHz, sondern stattdessen auf 1197, 1233, 1242 oder 1260 kHz, weil man sich mancherorts mit einem noch weiteren Aufblähen des Gleichwellennetzes wirklich nur noch selbst gestört hätte.

Außerdem wurden die Leistungen der Großsender halbiert. Das war keine neue Einschränkung, sondern nur ein Rückzug auf die Konfiguration der zuvor von der BBC betriebenen Röhrensender: Moorside Edge mit 100 kW, die anderen vier Großstandorte mit jeweils 50 kW.

Damit sparte Absolute Radio nicht einmal Geld, sondern kompensierte lediglich eine Tariferhöhung des Technikdienstleisters Arqiva. Konkrete Beträge wurden nicht offengelegt; bekannt ist nur die ungefähre Größenordnung der jährlichen Betriebskosten von mehreren Millionen Pfund (entspricht etwa Euro).

Das Konsultationsverfahren war letztlich eine Farce. Wie Absolute Radio in seiner Einreichung in moderaten, aber eindeutigen Worten erkennen ließ, wäre im Falle eines abschlägigen Bescheids die Mittelwellenlizenz schon seinerzeit zurückgegeben worden.

Trotzdem oder deshalb macht die Medienanstalt jetzt Stress: Auf Grundlage des Rundfunkgesetzes von 1990 müsse man wegen der Einstellung des Sendebetriebs die Lizenz entziehen und ein Bußgeld verhängen.

[Nachtrag: Es beläuft sich auf 25.000 Pfund. Mehr dazu in einem gesonderten, am Ende dieser Seite verlinkten Text.]

Das Ende der Mittelwellenverbreitung von Absolute Radio interessiert bereits fast niemanden mehr. Außerhalb der Nische des gern als „Anoraks“ oder „Nerds“ bezeichneten Personenkreises scheint überhaupt nur ein Branchendienst das Thema aufgegriffen zu haben.

Dessen Meldung nennt auch den verbliebenen Anteil der Mittelwelle an der gesamten Hörfunknutzung in Großbritannien: Zwei Prozent, davon der weitaus größte Teil bei den landesweiten Ketten. Die lokalen Kleinsender, bei denen Bauer gerade ebenfalls zu mehreren Abschaltungen schritt, strahlen bereits weitgehend hörerlos vor sich hin.

Bei Absolute Radio selbst griffen nach Angaben von 2021 noch 23 Prozent des Publikums auf die Mittelwelle zurück, entweder ausschließlich oder auch nur zum Teil. Das führte insgesamt zu einer Nutzung von 17 Prozent. [Nachtrag: Diese mit Telefoninterviews erhobenen Zahlen sollen, auch dazu siehe den gesonderten Text, erheblich zu hoch sein.]

News Building, London
Niederlassung der News Corporation in London | © James Petts, CC-BY-SA

Zur „Reduzierung der Mittelwellenversorgung“ kam es auch schon bei der früheren, mit den beiden Großfrequenzen 1053 und 1089 kHz ausgestatteten Mittelwellenkette von Radio 1. Hier sendet seit 1995 das heutige, seit 2016 zur News Corporation von Rupert Murdoch gehörende Talksport.

Nachdem bereits 2011 die von Talksport zu zahlende Lizenzgebühr um 90 Prozent gekürzt wurde, folgte 2019 die „großzügige“ Erlaubnis, sieben der 29 Sender aufzugeben.

Die Großsender von Talksport sollen (einige Beobachter bezweifeln das) nach wie vor mit voller Leistung arbeiten. Dabei scheinen die hier massiven, durch unterschiedliche Zuspielwege verursachten Echos (an bestimmten Orten in der besonders unangenehmen Form von Vorechos) seit Jahren niemanden mehr zu stören.

Nach der Abschaltung der Sender von Absolute Radio fand die Hauptfrequenz bereits einen neuen Liebhaber: Eine der kleinen Stationen, die nach dem Rückzug der Rai jetzt noch vom italienischen Mittelwellenrundfunk übrig ist, hat sich sogleich auf 1215 kHz gesetzt.

Dieses „Radio Z 100“ aus Mailand kann auch online gehört werden; zwar nicht über seine bescheidene Internetseite, zumindest momentan aber hier.

Ansonsten dominieren auf 1215 kHz, wie auch nicht anders zu erwarten war, die vier trotz aller Schließungsgerüchte nach wie vor hier arbeitenden Sender der spanischen Kette COPE. Sonderlich aufregend ist das nicht: Dieses Programm ist bereits allabendlich, und das ohne Echos, aus Barcelona auf 783 kHz zu hören.

Auf 1233 und 1242 kHz können jetzt die Ohren nach Signalen aus fernen Ländern gespitzt werden, nämlich aus Kenia bzw., das mit nicht einmal schwachem Signal, aus Oman.

Auf 1260 kHz schließlich wäre der Weg frei für Radio Dechovka aus Prag, falls im neuen Jahr doch noch mehr herauskommen sollte als unregelmäßige Sendeversuche mit geringer Leistung.

Mit der Abschaltung von Absolute Radio auf Mittelwelle folgte die nächste Zäsur ganze drei Wochen auf das Ende des AM-Rundfunks in zwei weiteren europäischen Ländern. In der Slowakei trat es in der erwarteten Weise ein: Die beiden letzten Sender auf 702 und 1098 kHz wurden Silvester um Mitternacht ausgeschaltet.

In Luxemburg war hingegen eine merkwürdige Mischung von Emotionalität und Gleichgültigkeit zu beobachten. Die Emotionalität zeigte sich in einer sehr kurzfristig getroffenen Entscheidung, die Langwelle 234 kHz erst in der Nacht zum 2. Januar um 1.00 Uhr außer Betrieb zu nehmen.

Mit einem Dank an die Techniker meldete sich dazu der langjährige Moderator Georges Lang. Umso verwunderlicher war, wie er dann die Sendung gestaltete: Zumindest in den letzten Minuten und Sekunden fiel kein einziges Wort zum Thema. Auch dieser Sender wurde somit kommentarlos aus dem laufenden Programm heraus stillgelegt.

Die Behandlung des Themas im RTL-Fernsehen geriet ebenfalls recht merkwürdig: Mit einem Besuch in der alten Sendestation Junglinster und ihrem wie ein Museum wirkenden Technikraum. Das Langwellensignal kam längst nicht mehr von dort, sondern von einer anderen, vier Kilometer entfernten Anlage.

In Großbritannien beschäftigt sich die BBC schon seit Jahren damit, die so gut wie niemanden mehr interessierenden Mittelwellen ihrer Lokalradios eine nach der anderen abzuschalten. 2021 wagte man sich erstmals auch an eine Großfrequenz und beendete die Mittelwellenverbreitung von BBC Northern Ireland.

Für BBC Radio 5 Live gibt es die Sprachregelung „bis spätestens Dezember 2027“. Interessant ist diese Frage, weil das Programm mit Sportberichterstattung im direkten Wettbewerb mit Talksport steht. Wenn es zu keinen Absprachen kommt, riskiert also Abwanderungen zur Konkurrenz, wer die Mittelwelle zuerst aufgibt.

Beschleunigt werden könnte die Entwicklung durch Mehrkosten, die nach dem Wegfall von Absolute Radio auf die verbleibenden Nutzer der Infrastruktur zukommen dürften. Dazu behauptet ein früherer Mitarbeiter, Absolute Radio sei von Arqiva seinerzeit (siehe oben) regelrecht angefleht worden, auf Mittelwelle zu bleiben, und habe „einen sehr guten Deal“ bekommen.

Eisernes Schweigen herrscht schließlich zu der Frage, was aus der Langwelle 198 kHz wird. Verzögerungen beim Austausch der Stromzähler, die ein hier mit gesendetes Signal zur Tarifumschaltung nutzen, haben anscheinend Folgen: Laut dieser Seite soll die Funktion nun bis zum 31. März 2024 aufrechterhalten bleiben.

Sender Allouis
Stille mit 800 kW: Der französische Langwellensender Allouis

Auf einem anderen Blatt steht allerdings, ob bis dahin auch ein Programmton der BBC übertragen wird. Das ist durchaus nicht selbstverständlich: Die französische Langwelle 162 kHz ist mittlerweile im siebenten Jahr, in dem sie lediglich Stille ausstrahlt.

Dort rächt sich das Konzept, keinen Zeitdienstsender wie den in Mainflingen mit 50 kW auf 77,5 kHz arbeitenden DCF77 vorzusehen. An dessen Stelle wurde in Frankreich ein System entwickelt, das mit einem (so gut wie) unhörbaren, über den Langwellen-Rundfunksender mit übertragenen Signal arbeitet.

Grundlage waren Verwaltungsvereinbarungen zwischen Behörden. Diese erledigten sich, indem zunächst 1975 der Staatsfunks ORTF aufgelöst und durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ersetzt und dann 1990 das Fernmeldewesen in privatrechtliche Strukturen überführt wurde. Verbindliche Neuregelungen des Zeitdienstes unterblieben dabei.

Als Radio France zum Ablauf des Jahres 2016 schulterzuckend den Ausstrahlungsvertrag kündigte, blieb der Behörde ANFR deshalb nichts anderes übrig, als einzuspringen und fortan die Rechnungen des Senderbetreibers TDF zu bezahlen. Wegen der Auslegung des Systems geht es dabei weiter um eine Sendeleistung von 800 kW.

Fortsetzung des Themas


Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 29.01.2023