Frühere Kurzwellenstation - Senderhaus Jülich wird abgerissen

Deutsche Telekom, Niederlassung Köln, Rundfunksendestelle Jülich
Im Jahre 2002: Das Tor und eine Vorhangantenne der Sendestation Jülich | © Kai Ludwig

Von 1956 bis 2010 wurden aus Jülich Rundfunksendungen auf Kurzwelle in alle Welt ausgestrahlt. Nun verschwindet mit dem Technikgebäude der letzte Rest dieser Sendestation.

Auf der Fläche entsteht stattdessen eine Syntheseanlage, die Flugzeugtreibstoff mittels Solarthermie herstellen soll.

Ein Beitrag des WDR (abrufbar bis zum 13. September) zeigt den heutigen Zustand des Gebäudes. Wie auch nicht anders zu erwarten, ist der Sendersaal längst ausgeräumt.

Erinnerungen an den Schaltraum E im Funkhaus Nalepastraße weckt hingegen der Leitplatz. Hier fand der Drehstab noch einen Stapel Kassetten, darunter Sendebänder von Pan American Broadcasting aus den Jahren 2003/2004 (seinerzeit noch mit anderen Klienten als der heute aus Nauen aktiven Sekte von Tony Alamo).

Sender Jülich
Weitere der zahlreichen Vorhangantennen, davor die Quadrantantenne für Sendungen ins nähere Umfeld (inoffiziell auch Deutschland selbst) im 49-Meterband | © Kai Ludwig

Begonnen hatte den Aufbau der Kurzwellenstation Jülich noch der Nordwestdeutsche Rundfunk. Bei dessen Aufteilung in NDR, WDR und Deutsche Welle wurde die Station der Deutschen Bundespost zugeordnet, die den Standort bis 1968 schrittweise auf zehn Sender ausbaute.

Von 1985 bis 1993 kam es zu einer umfassenden Modernisierung. Danach verfügte die Station über zwölf Sender (davon zehn neu) und eine dem aktuellsten technischen Stand entsprechende Antennenanlage.

Mit diesen wirksamen Antennen konnte eine wesentlich bessere Versorgungsqualität erreicht werden, als man es von der mit 100 kW verhältnismäßig niedrigen Sendeleistung erwartet hätte. Trotzdem endete 1996 die Nutzung der Station durch die DW, da man dort unter 500 kW erst garnicht anfangen wollte.

Statt die fast noch neuen Anlagen stillzulegen, begann die Deutsche Telekom damit, Sendezeit in kleinteiliger Form zu verkaufen. Den Erfolg brachte die Kombination der Faktoren, alle technischen Planungen zu übernehmen und mit der bescheidenen Sendeleistung entsprechend günstige Preise bieten zu können.

Zu den ersten Kunden gehörte von 1996 bis 1999 Radio Vilnius, der seit 2009 nicht mehr existierende Auslandsdienst des litauischen Rundfunks. Hier kam ein Postversand von Tonträgern natürlich nicht in Betracht, und so waren zusätzlich zur Ausstrahlung noch Leitungskosten in fast gleicher Höhe zu tragen.

Auch viele weitere der einst aus Jülich gesendeten Programme existieren inzwischen nicht mehr. Bis heute im Kundenkreis der Media Broadcast verblieben sind immerhin neben Pan American Broadcasting auch Adventist World Radio, Bible Voice Broadcasting, Reach Beyond (ehemals HCJB) und Sagalee Bilisumma Oromoo.

Von den unzähligen weiteren Sendungen sei die Übertragung einer gerade in neuer Form wieder aufgelegten Großveranstaltung herausgegriffen: Zur Loveparade 2000 wurde aus Jülich durchgehend für 48 Stunden das Programm der damaligen ORB-Welle Fritz auf Kurzwelle umgesetzt.

Auch politische Kontroversen blieben nicht aus. Als 1996 die Democratic Voice of Burma in Norwegen ihre Ausstrahlungen mit Frequenzen aus Jülich verstärken wollte, verweigerte das Auswärtige Amt unter Klaus Kinkel zunächst die Zustimmung und produzierte so einen Skandal.

Ein anderer Skandal hielt sich 2005 in Grenzen, weil die Protagonisten sich auf eine hörerlose Digitalübertragung versteiften: Der Versuch, Sendungen der Vlaams Belang unterzubringen. Deren analoge Ausstrahlung aus Russland fand ebenfalls ihr Ende, als in Moskau erkannt wurde, an wen man sich da verkauft hatte.

Sender Jülich
Mit dieser drehbaren Antenne wurden u.a. die DW auf 6140 kHz und später der Sektenführer Stair auf 6110 kHz gesendet | © Kai Ludwig

Von 1998 bis 2006 war auch die Deutsche Welle noch einmal aus Jülich auf Sendung. Hier ging es um die Frequenz 6140 kHz, die eher experimentellen Charakter hatte. Sie war von der Bundespost in den 80er Jahren zunächst in Elmshorn bei Hamburg aktiviert worden.

Nach 1990 übernahm ein von der DW nur als Reserve behandelter Sender in Nauen, bis die Telekom diese aus dem Jahre 1964 stammende Anlage aufgeben wollte. Um deren dreh- und schwenkbare Antenne für andere Kunden wieder nutzen zu können, wurde 2006 ein Sender aus Jülich nach Nauen geholt.

Seinerzeit zeichnete sich der Untergang des Standorts Jülich ab, da die DW 2006/2007 ihre Ausstrahlungen auf Kurzwelle im Wettbewerb vergab und der privatisierte Sendernetzbetrieb des BBC World Service die Ausschreibung gewann. Das Geschäft mit anderen Kunden konnte nur noch die Standorte Nauen und Wertachtal bei Buchloe tragen.

Ein letzter Schachzug blieb noch: Zum Beginn des Jahres 2008 verkaufte die Telekom das Objekt an Christian Vision, das bis dahin bereits als Sendekunde bediente Missionswerk des britischen Milliardärs Robert Edmiston. Zuvor wurden noch drei weitere Sender aus Jülich mitgenommen.

Unter der neuen Trägerschaft kamen aber nur noch nur einige Digitalversuche und Übernahmen von Missionssendern aus dem postsowjetischen Raum heraus. Beim größten Teil der Ausstrahlungen handelte es sich weiter um Kunden des damaligen Telekom-Geschäftsbereichs Media Broadcast, der bis zuletzt die Betriebsführung übernahm.

Bis zum 24. Oktober 2009 gab es in dieser Form einen Sendebetrieb für sechs Stunden am Nachmittag und frühen Abend. Auch er konnte entfallen, indem Sendungen aus Ostbelgien und aus der US-amerikanischen Stair-Sekte der Österreichischen Rundfunksender GmbH als Subauftragnehmer überlassen wurden.

Am 20. November 2009 begannen noch einmal Ausstrahlungen aus Jülich: Am späten Nachmittag arbeitstäglich 30 Minuten Armenisch von Trans World Radio, dienstags und freitags zugleich Radio Xoriyo, die Ende 2018 eingestellten Sendungen der ONLF (Ogaden-Befreiungsfront).

Allerletzter Sendetag war wahrscheinlich der 26. März 2010 (konkret bekannt ist eine Aufrechterhaltung des winzigen Restbetriebs bis Februar). Schon drei Wochen später begann ein Schrotthändler mit dem Abbruch der Antennen.

Nicht anders erging es den Sendestationen in Chile und in Australien (Darwin), die Christian Vision bereits 1998 bzw. 2000 übernommen hatte. Sie wurden 2012 bzw. 2010 stillgelegt und sind inzwischen ebenfalls von der Bildfläche verschwunden.

Auch mit der Station Wertachtal, wo mit den aus Jülich umgesetzten Sendern das Konzept „100 kW“ noch weitergeführt wurde, ist es seit 2013 vorbei. Die immer weiter zurückgegangene Nachfrage für Ausstrahlungen auf Kurzwelle reichte nicht mehr aus, um diese Großanlage zu tragen.

 

Autor: Kai Ludwig; Stand vom 09.09.2022