Erneut thematisiert - Arabische Sichten auf die Deutsche Welle

I just have been notified without further explanations that I will receive a notice of termination from Deutsche Welle with immediate effect.
© @Farah_Maraqa

Nach einem knappen Vierteljahr meldete sich wieder eine Stimme zu den Vorgängen in der Arabisch-Redaktion der Deutschen Welle. Der ausführliche Beitrag erschien bei +972, einem nach eigener Auskunft von israelischen und palästinensischen Journalisten betriebenen Portal.

Unter den Geldgebern von +972 befinden sich auch die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Der Beitrag vom 5. Mai konzentriert sich erneut auf die Stellungnahmen von Farah Maraqa und Maram Salam (dazu siehe unten), nachdem sich ansonsten kaum jemand offen zu diesem Thema äußern möchte.

Ein anonymer Zitatgeber kommentiert nun die Beauftragung von Ahmad Mansour als Gutachter:

„Das hatte doch keinen Sinn. Mansour ist eine politische Person mit proisraelischer Ausrichtung. Ich sehe nicht, wie diese Untersuchung als fair betrachtet werden könnte.“

Offiziell mit beauftragt war auch die Ehefrau, Beatrice Mansour. Dazu der ungenannt bleibende DW-Mitarbeiter:

„Niemand hat erklärt, was sie eigentlich macht. Sie hat ihre Mitwirkung nicht erläutert und sich selbst nicht vorgestellt. Keiner hat verstanden, warum sie überhaupt dort saß.“

Eine von +972 zitierte Juristin betrachtet den von der DW veröffentlichten Bericht als voreingenommen:

„Die Art und Weise, in der dieser Bericht geschrieben ist, impliziert, dass arabische Mitarbeiter mit höherer Wahrscheinlichkeit Antisemiten sind als alle anderen Partner oder Mitarbeiter. [...]
Mansour sagt letztlich, dass arabische Mitarbeiter Ansichten haben, die der Beobachtung bedürfen, weil sie schnell antisemitisch sein könnten. [...] Der Bericht ist ein Konvolut, das viele irrelevante Dinge erwähnt und individuelle Personen völlig aus dem Blick verliert.“

Der von einigen der Betroffenen beauftragte Rechtsanwalt Ahmad Abed sieht eine klare Verletzung des Arbeitsrechts durch die DW:

„Nach der Pressekonferenz haben sie einfach die Entlassungen ohne Angabe von Gründen verschickt. Üblicherweise würden der Vorgesetzte und die Personalabteilung die Ergebnisse solcher Untersuchungen mit den Betroffenen erörtern. Das ist nicht geschehen. Die Rechtsgrundlagen dieser Entlassungen sind sehr vage. [...]
Es ist unzulässig, Untersuchungen über einen Mitarbeiter wegen Auffassungen zu führen, von denen man denkt, er könnte sie haben. Diese Mitarbeiter haben über Jahre für die DW gearbeitet. Die Art und Weise, in der sie jetzt behandelt werden, ist herabwürdigend und respektlos.“

+972 selbst moniert insbesondere Mansours Kritik an jeder Erwähnung des Wortes „Nakba“ und seinen Kommentar, in Gaza gäbe es „keinerlei Zivilgesellschaft“. Ebenfalls kritisiert wird die Gewerkschaft Verdi, die nach Ansicht der Betroffenen kaum Unterstützung geleistet habe.

Weiter zitiert wird der frühere DW-Mitarbeiter Tom Wills. Nach dessen Auffassung stellen sich grundlegende Fragen nicht nur für die arabische Redaktion, deren Leiter Naser Schruf im Umfeld der Untersuchungen abgelöst wurde:

„Die Meinung, dass alle Probleme innerhalb der arabischen Abteilung liegen, gab es schon früher. Durch die Flure der DW hallen rassistische Gedanken, die hier Verbindungen zu einer konservativen Kultur oder der Politik im Nahen Osten sehen.“

Wills nimmt Bezug auf den Guardian-Beitrag  von 2020, der ein regelrechtes Erdbeben ausgelöst hatte:

„Für uns stand außer Frage, dass die Probleme nicht nur in der arabischen Abteilung verbreitet sind. Es wurde versucht, die Sache auf diesen sehr praktischen Sündenbock zu begrenzen. Aber die Tatsachen geben das nicht her.“

Immer wieder seien, so behauptet Wills, Beschwerden freier Mitarbeiter über ihre Behandlung durch Festangestellte per Beendigung der Zusammenarbeit geregelt worden:

„Eines der strukturellen Probleme der DW ist die tiefe Spaltung der Belegschaft, deren freie Mitarbeiter nicht durch das deutsche Arbeitsrecht geschützt sind. Deshalb werden Freie, von denen viele Ausländer sind, einfach herumgereicht oder rausgeworfen. Das führt zu einer rassistischen Dynamik in dieser grundlegend und strukturell ungerechten Arbeitsumgebung. [...]
Die Entlassungsschreiben der Leute, die vor ein paar Monaten von der arabischen Abteilung gefeuert wurden, vermerken ausdrücklich, dass sie nicht mehr das Vertrauen der Führungsebene haben. Da steht also schwarz auf weiß, dass Leute entlassen wurden, weil sie Führungskräfte kritisierten.“

Nach der Veröffentlichung des Berichts verlangte die DW von ihren Partnern die Unterzeichnung einer unbestimmten Verpflichtung gegen Antisemitismus. Zahlreiche Medienhäuser hätten, so +972, die Abgabe einer solchen Erklärung abgelehnt. Dadurch sei inzwischen „die Mehrheit“ der Kooperationen im Nahen Osten beendet.

Diese Kooperationen sind für das arabische Angebot der DW von entscheidender Bedeutung. Wie der Untersuchungsbericht selbst anmerkt, wurden drei Viertel des auf 290 Millionen Personen bezifferten Publikums nicht direkt, sondern über solche Partner erreicht.

Stand vom 08.05.2022

Press release: Roya regrets DW’s decision to suspend agreements, rejects false accusations
© twitter.com/Royatv

12. Februar 2022:

Der Untersuchungsbericht enthielt die Empfehlung, nach einer Aussetzung der Zusammenarbeit mit dem jordanischen Roya TV „in den Dialog zu treten“. Das scheint bereits obsolet zu sein: Roya TV kommentierte die fristlosen Entlassungen mit einem harten Angriff auf die DW, die versuche, sich mit der Kritik an bisherigen Partnern vom Vorwurf des Antisemitismus reinzuwaschen.

Wie Roya TV darüber hinaus mitteilte, habe man die DW aufgefordert, sich innerhalb einer Woche zu den Verpflichtungen des eingegangenen Kooperationsvertrages zu bekennen. Sollte das nicht geschehen, behalte man sich Klagen in Jordanien und Deutschland vor.

Aus Jordanien war 2017 auch eines der jetzt entlassenen Redaktionsmitglieder, Farah Maraqa, nach Berlin gekommen. Sie hat sich in einer Serie von Blogbeiträgen selbst ausführlich zum Thema geäußert.

Im Teil 1 beschreibt sie die Erfahrung, sich auf einmal mit vollem Namen in den Schlagzeilen zu finden, und bedauert es als Fehler, nach der ursprünglichen freien Mitarbeit vor einigen Monaten einen Arbeitsvertrag mit der DW unterschrieben zu haben.

Teil 2 artikuliert den Eindruck, die Süddeutsche Zeitung habe nur pro forma eine Stellungnahme zu den von ihr erhobenen Vorwürfen erbeten, und kommentiert diese mit den Worten:

„Ich hätte nie gedacht, dass irgendjemand denkt, ich wäre mit einem ‚Bewusstsein für die deutsche Geschichte‘ geboren worden, wenn ich im anderen Teil der Welt und auf der absoluten Gegenseite der Sache war!!“

Teil 3 eröffnet mit dieser Meinung:

„Es ist sehr seltsam, in den deutschen Medien so beschrieben zu werden wie in vielen brutalen Social-Media-Attacken in Jordanien. ‚Palästinensische Jordanierin‘ sollte mir in Amman bedeuten, ich wäre nicht ‚jordanisch genug‘. [...]
In Deutschland bedeutete es anscheinend für manche Kollegen, ich wäre nicht Journalistin genug! Und ich sollte nicht mehr in den deutschen Medien arbeiten, egal was ‚Vielfalt‘ oder, auf der anderen Seite, ‚Rassismus‘ bedeuten könnten!“

Teil 4 weist den Vorwurf einer Nähe zum Islamischen Staat zurück, beklagt aus dem Zusammenhang gerissene, mehr als fünf Jahre alte Zitate und endet unvermittelt mit der Nazikeule. Im Teil 5 beschreibt Maraqa ihre Wahrnehmung des Arbeitsumfelds bei der DW, in dem Einheimische offenbar keine Rolle spielten.

Das setzt sich darin fort, wie Maraqa sich und ihre früheren Kollegen als „Araber“ abgestempelt sieht, weil deutschsprachige Texte (so auch hier) den bei der DW intern als Bezeichnung der Struktureinheit verwendeten Anglizismus „Middle East“ nicht übernommen haben.

Es erübrigt sich, darüber zu spekulieren, ob Farah Maraqa keinen Zugang zur deutschen Gesellschaft finden konnte: Das beschreiben die Teile 6 bis 8 ihrer Blogserie selbst in aller Deutlichkeit.

Der bislang letzte Text sucht schließlich die Frage „bin ich antisemitisch?“ zu beantworten:

„Meine Oma, die vor dem Krieg mit den Israelis geflohen ist, hat mich gelehrt, dass Juden in keinster Weise von den Kriegen und Konflikten profitieren. Über zehn Jahre hinweg erzählte sie immer wieder von ihrem jüdischen besten Freund, zu dem sie durch den Krieg den Kontakt verloren hat.“

Ein Beitrag von Al Jazeera zitiert Äußerungen einer weiteren von der DW fristlos gekündigten Journalistin, der Anfang 2020 aus dem Westjordanland gekommenen Maram Salam, die selbst nur in der Facebook-Blase kommuniziert.

Salam beschreibt auch, wie die angebotene Möglichkeit, sich in der von der DW beauftragten Untersuchung zu äußern, praktisch aussah. Es sei keine einzige Frage nach dem Social-Media-Eintrag gestellt worden, um den es ging, sondern:

„Sie stellten mir persönliche Fragen nach meiner Kindheit, wie ich erzogen wurde, welche politischen Ansichten ich habe und was ich von BDS denke.“

 

Autor: Kai Ludwig