Moskau - Sender Elektrostal abgerissen

Sender Elektrostal
Elektrostal mit vier Antennenmasten | © Dmitri Makejew, CC-BY-SA

Vom Februar bis April 2020 verschwand eine weitere traditionsreiche Sendeanlage des AM-Rundfunks von der Bildfläche: Der Standort des Moskauer Radiozentrums 9 in der Industriestadt Elektrostal, 50 km östlich der russischen Metropole.

Eine Anzahl von Fotos und Videos zu diesem Thema findet sich auf VK. Umfangreich zu sehen ist dort die „Nachnutzung“ der Antennen, die in Elektrostal in einem Ausmaß grassierte, auf das 2012 selbst Spiegel TV einging.

Die Geschichte der Sendestation reicht zurück bis ins Jahr 1933. Nach dem letzten Ausbau gab es hier sechs große Masten, deren Höhen mit gut 200 Meter angegeben werden. Vier davon waren in einer Reihe angeordnet, zwei weitere standen etwas abseits und trugen eine Flächenantenne.

Gespeist wurden diese Antennen von zwei Senderanlagen mit jeweils 1200 kW Leistung. Im letzten Stand arbeiteten sie auf den Gleichwellen 171 und 873 kHz, die auch von weiter westlich gelegenen Standorten betrieben wurden. In Mitteleuropa waren die Sender in Elektrostal also allenfalls in Form von Echoeffekten zu hören.

Der Sendebetrieb auf 171 kHz endete bereits Mitte der 90er Jahre. Hier lief das einstige erste Programm des sowjetischen Allunionsradios, das – auch mit Unterstützung von Michail Gorbatschow – nach 1991 als Radio-1 weitermachte, letztlich aber dem immer weiteren Austrocknen seiner Geldquellen zum Opfer fiel.

Die Frequenz 873 kHz gehörte hingegen zur dritten Frequenzkette, die noch zu Zeiten der RSFSR von Boris Jelzin für sein neu gegründetes Radio Rossii in Anspruch genommen wurde. Viel länger als die Langwellenfrequenz kam auch diese Mittelwelle nicht aus Elektrostal; sie wechselte zur Sendestation Lesnoi, verbunden mit einer Absenkung der Leistung auf 250 kW.

In Lesnoi gab es neben einem Mittelwellensender vor allem 16 Kurzwellensender, ebenfalls mit jeweils 250 kW. Im Ausland bekannt wurde dieser Standort erstmals 1993 nach einer Besichtigung im Rahmen von Gesprächen über die (dann von anderen Sendestationen realisierte) Ausstrahlung von Radio Nederland Wereldomroep:

1993 veröffentlichte Promo-Karte von RNW mit Motiven des Senders Lesnoi (links unten und rechts)

Wegen des immer weiteren Rückgangs der Anforderungen wurde der Kurzwellenbetrieb in Lesnoi 2012 aufgegeben. Am 21. Mai 2014 endete dann auch der Betrieb des Mittelwellensenders. Wie die Station heute aussieht, kann man – sofern man sich den Anblick nicht lieber ersparen will – hier betrachten.

Die Frequenz 873 kHz zog ein weiteres und letztes Mal um: Zum Sendezentrum Kurowskaja bei Awsjunino, das ab 2012 ebenfalls schon nicht mehr auf Kurzwelle aktiv war. Da dieser Standort 100 km von Moskau entfernt ist und die Sendeleistung hier auf 150 kW beschränkt blieb, war die Frequenz im Störteppich der Großstadt kaum noch brauchbar zu empfangen.

Somit hielt sich in Moskau selbst bei Radiofans das Bedauern in Grenzen, als die staatliche Rundfunkgesellschaft WGTRK am 31. Januar 2015 das Thema AM-Rundfunk beendete und auch ihre letzten verbliebenen Mittelwellen, in erster Linie die Gleichwelle 873 kHz, abschaltete.

Sender Elektrostal
Sender Elektrostal: Flächenantenne und ihre Speiseleitung | © Dmitri Makejew, CC-BY-SA

Von den Anlagen in Elektrostal zu unterscheiden sind die beiden anderen Standorte der einstigen Struktureinheit „Radiozentrum 9“. Davon ist die Sendestation Swetly bei Kupawna seit 2008 geschlossen. Zuletzt kamen von hier noch die Zeitzeichen auf 66 2/3, 4996, 9996 und 14996 kHz. Deren Abstrahlung übernimmt jetzt die Sendestation Taldom.

Der andere Schwesterstandort befindet sich bei Noginsk. Hier war erst 2006 eine neue Antenne gebaut worden, um die Sendestation Tschkalowskaja schließen zu können.

2014 machte der russische Sendernetzbetreiber RTRS dann aber auch in Noginsk dicht. 2019 folgte schließlich die letzte noch aktive Moskauer Mittelwellenanlage in Kurkino. Damit hat es sich, sollten nicht völlig überraschend noch einmal die Rubel dafür rollen, mit dem AM-Rundfunk in der größten Stadt Europas ebenso erledigt wie zuvor schon in Berlin.

 

Autor: Kai Ludwig; Stand vom 20.04.2020