Exklusiv-Interview - Herbert Grönemeyer wird 65 - radioeins gratuliert

Herbert Grönemeyer © radioeins/Ralf Schuster
Herbert Grönemeyer | © radioeins/Ralf Schuster

Es gibt heute ein besonderes Geburtstagskind: Herbert Grönemeyer! radioeins ruft an seinem 65. Geburtstag voller Freude, Liebe und Geburtstagsumarmung ganz laut: Happy Birthday! Und welcher Sender läuft bei ihm daheim den ganzen Tag? Genau, radioeins! Deswegen hat er uns das einzige Exklusiv-Interview zu seinem Geburtstag gegeben.

Auch im Alter von 65 Jahren ist Herbert Grönemeyer kein bisschen leise. Der Sänger arbeitet an mehreren Projekten und engagiert sich vehement für die bedrohte Kulturszene. Corona hat alles verändert, auch für Herbert Grönemeyer.

Wie er diese Zeit erlebt, was er von der Corona-Politik der Bundesrerierung hält und was getan werden muss, um die Kulturszene vor dem Untergang zu retten, darüber hat radioeins-Musikchefin Anja Caspary mit Herbert Grönemeyer gesprochen. Dabei hat er auch ein neues Album angekündigt, an dem er gerade arbeitet, und uns verraten, wann er sein letztes Konzert geben will.

radioeins: Wie ist denn dein Tag so mit Corona? So viele flüchten ja in die Natur. Du bist Musiker. Du kannst natürlich auch Songs schreiben. Oder hast du ein ganz neues Hobby entdeckt?


Grönemeyer: Nee, also ich fange jetzt gerade wieder mit einer neuen Platte an. Wir sind gerade im Studio. Man hängt ja in so einer Wolke rum. Es ist ja weiß Gott nicht besonders euphorisch und es hat auch schon so eine neblige Traurigkeit. Also man hängt so dazwischen und das ist natürlich zum Schreiben einerseits eine Möglichkeit, sich damit so ein bisschen ein Ventil zu schaffen oder sich damit auszuatmen. Aber es ist natürlich auch so ein ganz merkwürdiges geistiges Phlegma. […] Im Grunde genommen versucht man sich aus so einem Loch zu buddeln, um das Gefühl zu kriegen, man kriegt wieder Frischluft. Aber das sind immer nur so Momentaufnahmen. Aber wir fangen jetzt an. […] Ich würde gerne ein aufbrechendes Album machen, das ein bisschen nach Zukunft schmeckt und auch jetzt nicht fröhlich ist, aber aufbrechend. Da fange ich gerade an, mich dran abzuarbeiten.

radioeins: Findest du, dass unsere Regierung mit der Causa Covid-19 das auch geschafft hat, die Leute bei Stange zu halten?


Grönemeyer: Nein, ich finde, dass die Regierung […] hier nicht nur extrem scheitert, sondern, dass sie auch als System beweist, dass sie eben sehr auf sich bedacht ist und sich keiner mal hinstellt und sagt: Wir haben versagt. Das finde ich das Allerschlimmste. Und das ist, glaube ich, auch das, was die Leute so zusätzlich ärgerlich macht, dass nicht jemand den Mut hat, oder die Größe zu sagen: Wir haben uns nicht vorbereitet, wir haben nichts vorbereitet. […] Ich glaube, sie können stolz sein, dass es diese Bevölkerung gibt, die sich wirklich sehr, sehr bemüht, damit umzugehen. Und ich habe mal ein Lied geschrieben, das kann man gerne zu diesem Anlass spielen. Das heißt „Flüsternde Zeit“. Das habe ich 2007 geschrieben nach der Fußballweltmeisterschaft. Und da singe ich im Grunde genau über das Thema, dass diese Regierung nichts riskiert. […] Die haben alle die Gesellschaft verlassen. Die haben die Menschen verlassen und das ist, glaube ich, das Fatalste an dieser Situation, dass die Menschen sich absolut alleingelassen fühlen und das ist gemein. Das ärgert mich maßlos und das ist auch der größte Eklat in dieser Situation.

Herbert Grönemeyer

radioeins: Wir haben längere Zeit bei radioeins die Aktion „Emotional Rescue“ gemacht, bei der sich Hörer*innen Lieder wünschen konnten, die sie irgendwie gerettet haben, seelenmäßig aufgefangen haben oder es immer noch tun. Hattest du auch sowas was? So eine Phase, wo du vielleicht immer eine Platte gehört hast? Oder hat Musik dir nicht helfen können?


Grönemeyer: Bei mir läuft ununterbrochen Musik den ganzen Tag. Das muss man dazu sagen. Also läuft immer das Radio, den ganzen Tag. Es gibt schon Musik, die ich dann immer wieder höre oder die ich mir immer wieder zuführe. Also Musik ist schon ganz elementar dafür, denke ich.

radioeins: 65 ist ja eigentlich immer gleichbedeutend mit dem Eintritt ins Rentenalter. Es ist für dich auch eine besondere Zahl?


Grönemeyer: Nee, das kennen wir natürlich nicht. Das ist auch mein Glück, denke ich, als Künstler. Der denkt über solche Dinge ja nicht nach. Wir haben nicht dieses harte Arbeitsleben hinter uns. Ich kann mir schon vorstellen, wenn ich jetzt tagtäglich dreißig, vierzig Jahre meiner Arbeit gemacht habe, dass ich mich dann auch freuen würde, dass das mal ein bisschen zur Ruhe kommt. Aber nein, ich freue mich, dass ich Künstler bin und das ich im Grunde hoffe, irgendwann zusammenzuklappen. Am besten beim Auftritt oder nach dem Auftritt oder was weiß ich.

Natürlich wundert man sich, dass man 65 geworden ist. So als abstrakte Zahl, denkt man: „Aha, interessant“ […] Ich bin wohl ein Frühlingskind und ein Widder und denke auch, dass ich noch ganz frisch bin. Aber gleichzeitig weiß ich auch, dass ich älter werde. Aber die Schönheit ist, dass ich eben gerade auch in meinem Bereich - auch am Theater oder auch in der Musik - natürlich viele kenne, die schon deutlich über 70 sind. Oder ich habe ja damals auch das Duett aufgenommen mit Charles Aznavour. Der ist glaube ich mit 92 noch aufgetreten. Also das gibt mir Hoffnung.

radioeins: Hättest du so mit 25 gedacht - zur Zeit von „Currywurst“ und „Das Boot“ - gedacht, dass du jemals so alt wirst?


Grönemeyer: Ich war nie jemand und bin niemand, auch heute nicht komischerweise, der irgendwie vorausschaut. Ich lebe - nicht als Qualität, das ist ja nur so ein Charakterzug - ich lebe völlig im Tag. So ungefähr. Ich habe nie einen Plan. Zum Leidwesen meiner Eltern. Ich wusste auch nie, was ich werden sollte oder wollte. Da hatte ich gar keine Ahnung. Ich habe immer das gemacht, was ich machte, so intensiv wie möglich. Aber ich habe mir nie Gedanken gemacht, was morgen ist oder übermorgen. Oder wie ich mit 35 aussehe, oder 50 oder 70 oder 100. Und das ist heute genauso noch. Ich weiß jetzt, ich gehe ins Studio. […] Ich denke nicht in Perspektiven. Das habe ich nie gemacht.

radioeins: Also machst du gar keine Pläne. Du hattest jetzt nicht so eine Bucket-List - irgendwas, was du noch machen willst?


Grönemeyer: Nein. Also, was ich gerne machen würde: Ich würde gerne Segeln lernen. Also so richtig Hochseesegeln lernen. Und ich würde gerne noch eine Oper schreiben oder irgendwas. […] Ich bin eher so, dass ich mich freue, ich lebe wirklich so von Tag zu Tag. Das ist mehr meine Ausrichtung und daran freue ich mich auch. Da hole ich auch meinen größten Spaß raus.

radioeins: Und diese Hängepartie, in der wir uns befinden, da hast du ja auch schon selbst gesagt, für dich ist das ganz gut, macht dich vielleicht sogar kreativ. Für andere, die eher in der Logistik der Musikbranche arbeiten oder eben nicht die Künstler sind, ist es schwierig. Hat man dann eigentlich als erfolgreicher Mensch so ein bisschen so das Gefühl, man muss die irgendwie unterstützen?


Grönemeyer: Absolut. Ich denke, die ganze Eventbranche, wie man das nennt, wir sind natürlich extrem getroffen und dieser Branche zeigt diese Zeit auch, wie wenig Anerkennung oder Respekt man in dem ganzen System hat, weil wir hängen ganz am Ende. Und ich glaube, das sind eine Million Menschen, die in dieser Branche beschäftigt sind. Und ich sehe das allein an meiner Crew auch. Die Menschen, die mit mir auf Tour gehen seit Jahrzehnten, wir sind auch gerade dabei von unserer Seite aus einen Fonds aufzulegen, der versucht, zumindest mit den Möglichkeiten, die man hat, einen ganz kleinen Teil zu schaffen. Aber die sind extrem getroffen. Und denen muss man auch helfen. […] Ob das Schauspieler sind, ob das Musiker sind, ob das Licht-Designer sind, ob das Bühnenbauer sind - die sind alle schwerstens betroffen von dieser Situation und wollten noch nie was vom Staat. Und umgekehrt ist für viele Menschen gar nicht nachvollziehbar, dass Menschen eigenständig, selbstverantwortlich seit 20, 30, 40 Jahren in dieser Branche arbeiten. Das geht vielen Leuten gar nicht in den Kopf. Und da ist schon ganz viel, viel mehr Hilfe vonnöten. […] Vielen Menschen geht das gar nicht in den Kopf, was da wirklich für eine riesige Gemeinschaft von Menschen in dieser Gesellschaft ist, die den ganzen Kulturbetrieb am Laufen halten. Und das selbstständig und auf eigenes Risiko.

Hinzu kommt, dass man auch den Theatern mal sagen müsste, also der Oper oder den Theatern, die staatlich gefördert sind, dass die sich alle einen Teil von den freischaffenden Schauspieler*innen nehmen sollten und die unterstützen müssten, die kriegen ja alle unfassbare Etats. Das ist den Menschen ja auch nicht klar. Die Theater und Opern in Deutschland werden massiv gefördert vom Staat. Da kann man froh sein, wenn man da engagiert ist, was ja auch okay ist, aber die sollten alle gemeinsam auch hingehen und einen Teil abknapsen und den Freien geben. Das machen die auch noch nicht. Das ist zum Beispiel auch ein Riesenfehler.

radioeins: Weißt du denn schon, was du an deinem Geburtstag machen wirst?


Grönemeyer: Nö. Ich denke, meine Familie wird mich mit irgendetwas überraschen. Und dann hoffe ich, dass das Wetter gut ist, und dann lasse ich mich feiern. Ich finde ja, Geburtstage sind dafür da, dass die Menschen die Gelegenheit haben, andere hochleben zu lassen. Ich freue mich immer, wenn ein Freund von mir Geburtstag hat, dann kann ich dem einfach und endlich mal wieder sagen, wie gern und wie wichtig er ist. Und ich glaube, das ist der Anlass für Geburtstage. Nicht, dass ich denke, dass man mir das sagen muss, aber ich glaube, die werden sich irgendwie etwas ausdenken, meine Kinder. Irgendetwas werden die machen. Ich kann ja leider keine Party schmeißen oder so, was schade ist jetzt im Frühling. Es könnten sich ja schön alle im Garten rumkugeln gemeinsam. Aber, das ist ja nicht.

radioeins: Hättest du denn Lust, bei radioeins mal wieder zwei Stunden lang eine Sendung zu machen - „Die Sendung mit Herbert Grönemeyer“ - und selbst Musik aufzulegen?


Grönemeyer: Gerne. Ja, logisch. […] Ich müsste wissen, wann das ist. Aber grundsätzlich mache ich das gerne.

 



radioeins-Interview mit Herbert Grönemeyer zu seinem 65. Geburtstag - geführt von radioeins-Musikchefin Anja Caspary am 09.04.2021.