Album der Woche - Flying Dream 1 von Elbow

Flying Dream 1 von Elbow
Flying Dream 1 von Elbow | © Universal

"Flying Dream 1" ist ein Album mit zehn sanften, zurückhaltenden Songs voller Wärme und Einfühlungsvermögen. Es entstand während des Lockdowns und wurde im leerstehenden Theatre Royal in Brighton aufgenommen.

Auf jedem, der bisherigen acht Studioalben von der Band Elbow gab es mindestens einen hymnisch-bombastischen Song, der während eines Konzerts in einem noch so großen Stadion das gesamte Publikum zum Mitsingen brachte. Doch eigentlich liegt die größere Qualität der Formation aus Manchester in den ruhigen Tönen. In jenen sparsam-instrumentierten, langsam-akustischen und sehr emotionalen Songs. "Flying Dream 1" ist nun das erste Album, dass derer zuhauf hat. Der Teil ihrer Musik, der durchaus pompös wirken kann und mitunter viel Humor hat, schien zurecht nicht zur allgemeinen Lage zu passen.

Schon gar nicht zur speziellen Lage des Elbow-Frontmanns, Guy Garvey, der gemeinsam mit seiner Frau, die letzten Monate seiner Schwiegermutter begleitete. Sie starb im Haus seiner Familie an Krebs während der Lockdownzeit. Der Song "What I Am Without You" ist seiner Frau gewidmet, die sich warmherzig, selbstlos und aufopferungsvoll um ihre Mutter kümmerte und damit erwirkte, dass das Letzte, was diese erfahren hat, Liebe war.



Der Gesang von Guy Garvey hat schon immer viel Gefühl transportiert, doch er scheint noch mehr daran gefeilt zu haben. Dazu sagt der Brite, dass er seltsamerweise früher gedacht habe, dass ein guter Song keinen richtig guten Gesang bräuchte. Es ginge mehr um die Texte, doch bei dem neuen Album lag der Fokus sehr auf seiner Stimme. Allein, weil die Musik teilweise wahnsinnig zurückgenommen wirkt und so habe er sich dieses Mal viel mehr ins Zeug gelegt als sonst. An Wahrhaftigkeit hat sein Gesang aber nichts eingebüßt. Er möge einfach, wenn etwas Charakter hat, sagt der Elbow-Sänger. Deshalb stehe er nicht auf den sauberen Klang einer Country-Gitarre, sondern es braucht den Sound eines kratzigen Griffbretts und ein bisschen Verzerrung hier und da. Und so mag er auch keinen überdeutlich artikulierten Gesang, sondern lieber so einen, der klingt, als würden dem Sänger ein paar Zähne fehlen.

Trotzdem ist sein Gesang auf dem neuen Album sehr behutsam, angepasst an die Zeit der Pandemie, die uns alle zu schaffen machte. In dem Song "The Seldom Seen Kid" könne man allein anhand der warmen Ausstrahlung der Holzbläser und seines ergriffenen Gesangs hören, was während des Lockdowns vor sich ging, sagt der Elbow-Sänger. Die Zeit war verwirrend und beunruhigend, aber sie hatten ihre Familien, Häuser mit Garten. Man ordnete seine Prioritäten neu und war dankbar, bewertete Freundschaft noch einmal höher. Er dachte an jene, die nicht bei ihm sein konnten. So wie sein einstiger Freund, der Musiker Bryan Glancy. Ihm widmete er schon einmal ein Album. Nun dachte er wieder an ihn während der Pandemie und lässt ihn in Gedanken großmütig mit seiner Frau tanzen. Der Spitzname von Glancy lautete, wie der Song heißt: "The Seldom Seen Kid". Der Titelsong "Flying Dream 1" geht auf den Gedanken zurück, dass sich manchmal eine Erinnerung wie ein Traum anfühlt, und ein Traum bisweilen so eindringlich sein kann, dass man anfängt zu glauben, er sei wirklich passiert. Fliegende Träume können unmöglich real sein, aber es sind die, von denen man sich wünscht, dass sie nie enden. Wie die, die einen zurück in die Kindheit transportieren.

Das Album wurde von Craig Potter produziert und mit weiteren Musikerinnen und Musikern aufgenommen: Alex Reeves an Schlagzeug und Perkussion, Sarah Field an Klarinette und Saxofon sowie im Chorgesang Wilson Atie, Adeleye Omotayo und Marit Røkeberg von den London Contemporary Voices und die amerikanische Sängerin Jesca Hoop, eine Weggefährtin von Elbow.

Claudia Gerth, radioeins

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