Album der Woche - Epithymia von Die andere Seite

Epithymia von Die andere Seite
Epithymia von Die andere Seite | © Virgin

"Epithymia" ist kein klassisches Debütalbum, auch wenn es das erste ist, das unter dem Namen Die Andere Seite veröffentlicht wurde. Sänger und Songschreiber der Band ist Tom Schilling der zuvor musikalisch als Tom Schilling & The Jazz Kids unterwegs war.

"Die Andere Seite" weckt einige Assoziationen. Eine dürfte das Sterben, der Tod sein. "Das passt gut zu einem Sehnsuchts-Album. Wenn man dieses unstillbare Gefühl in sich trägt, erlebt man vieles intensiver, aber man fühlt sich oft auch fremd und heimatlos in dieser Welt", so Tom Schilling. "Ich weiß nur, dass der Kern meiner Sehnsucht letztlich der Wunsch nach innerem Frieden ist. Nach dem Ankommen. Dem Nichts. Zu Ende gedacht also vielleicht die Sehnsucht nach dem Tod." In Musik gegossene Sehnsucht also, die des Dramas nicht entbehrt. So trifft der griechische Begriff "Epithymia" den Nagel auf den Kopf, bedeutet er doch unstillbares Verlangen, Begierde.



"Die andere Seite ist die dunkle, verborgene, verdrängte, unheimliche, ignorierte, schmerzende, unangenehme Seite, die an die Oberfläche drängt, weil sie gesehen werden will", meint Tom Schilling und so kanalisieren sich Gedanken dieses Kalibers in den Songs des Albums. Dazu passt auch, dass das "Lied vom Ich" der erste Track ist mit Sätzen, die so wirken, als brechen sie sich direkt aus dem Unterbewusstsein bahn. So ist auch die Musik gedacht. Erst flüstert alles, wird es immer zwingender, bis sich die ganze Wut und Ohnmacht in einem Schrei entladen. Schon bei diesem Song weiß jeder, der es nicht zuvor schon wusste, dass Tom Schilling nicht einfach ein singender Schauspieler ist. Er hat eine Vision, eine klare Vorstellung davon, wie das Konzeptalbum "Epithymia" klingen soll. "Ich bin Perfektionist", sagt Tom Schilling, "aber ich kenne natürlich auch meine Grenzen. Ich bin kein begnadeter Sänger und Instrumentalist, aber ich habe etwas zu erzählen." Davon konnte sich auch Moses Schneider überzeugen, der König der Live-Ästhetik auf Musikalben, der die Platte im Candy Bomber Studio produziert hat. Laut Schilling habe Schneider einen unsichtbaren "Fakedetektor", ist nicht korrumpierbar und bemerkt also sofort, wenn ein Song nur eine Behauptung ist. Diese Schranke haben die Songs demnach alle erfolgreich passiert.

Songs wie "Die Ballade vom Eisenofen", der die Gebrüder Grimm channelt, oder wie "Gera", der an The Velvet Underground erinnert, aber in Gedanken an die Swans in der ostdeutschen Stadt gleichen Namens geschrieben wurde. "Heller Schein" ist eine Verbeugung vor Franz Schubert, "Aljoscha" hingegen ist eine reine Folkballade und "Die Königin" kann man gleichsam als Drogensong als auch als Liebeslied interpretieren. Da ist sie wieder, die unstillbare Sehnsucht, die Begierde.

Für das Artwork sieht sich die Künstlerin Natalie Huth verantwortlich, die für gewöhnlich aus alten Zeitschriften, Zeitungen und Fotografien dunkle, mal Angst einflößende, mal romantische Collagen fertigt und kongenial die Stimmung des Albums eingefangen hat.

Claudia Gerth, radioeins


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