Wiener Straße - Die Straße der Besten

Straße der Besten: Wiener Straße
Straße der Besten: Wiener Straße | © radioeins/Warnow

In den Achtzigern war die Wiener eine Oase für die links-alternative Szene: Wehrdienstverweigerer, Punks und Kreative besetzten die leerstehenden Häuser. Sie und die türkischen Gastarbeiter gaben der Straße das für SO36 so typische, multikulturelle Flair. Aber wer wohnt hier eigentlich heute? Einige Kreuzberger Wiener können Sie hier genauer kennenlernen...

Conny Stevens

Inhaberin von „Der Schöne Laden“:

Conny wohnt zwar nicht direkt in der Wiener Straße, aber war schon immer ein großer Fan der Straße. Deshalb hat sie sich 2003 entschlossen, genau dort einen Laden für Accessoires, Schmuck, Geschenkartikel zu eröffnen. Lange suchte sie nach einem Namen und kam dann auf „Der schöne Laden“. Ganz unabhängig von radioeins, wobei sie immer Stammhörerin von radioeins war und dieser Sender auch jeden Tag im „Schönen Laden“ läuft.

Für die Gründung ihres Ladens hatte Conny eine gute Idee: Zur Anschubfinanzierung verkaufte sie kleine Aktienpakete  an „stille Teilhaber“ – Freunde, Bekannte, Familie. Die bekamen dafür lange Zeit Prozente beim Einkauf und Conny belohnte sie zusätzlich mit jährlichen Partys. Inzwischen ist der Kredit aber bezahlt, der Laden läuft und nur ein paar gute Freunde besitzen noch eine Aktie vom „Schönen Laden“ – sozusagen als Erinnerungsstück.

Kerstin Neumann © radioeins/Warnow
Kerstin Neumann | © radioeins/Warnow

Kerstin Neumann

Bewohnerin der Wiener Straße

Kerstin Neumann wohnt seit 10 Jahren in der Wiener Straße. Sie zog zu ihrem Mann, der schon seit 1999 in der Wiener zu Hause ist. Damals, so erinnern sich die beiden, lagen noch die Junkies im Hauseingang. Heute ist das Umfeld wesentlich  angenehmer. Die Leute sind entspannt und gerne und regelmäßig sitzen Kerstin und ihr Mann in der „Weißen Taube“, um das bunte Treiben auf der Straße zu beobachten. Mittlerweile ist auch ihr kleiner Sohn Arno dabei. Mit ihm geht Kerstin nun auch ab und zu in den Görlitzer Park. Früher habe sie den Park eher gemieden, aber die Atmosphäre habe sich deutlich verbessert, meint Kerstin. Ursprünglich kommt sie aus Potsdam, aufgewachsen ist sie in Werder/Havel, für ihr Reha-Studium ging sie zunächst nach Stendal und dann für ein Jahr nach New York.

Danach ging es zurück nach Deutschland. Im Rückblick, so Kerstin, brauchte sie nirgendwo so lange, um anzukommen und heimisch zu werden wie hier in Berlin und auch in Wiener Straße. Heute aber fühlt sich Kerstin in der Wiener zu Hause. Sie liebt die breiten Bürgersteige hier und den fantastischen Ausblick von ihrem Balkon im fünften Stock – auf die Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz oder das viele Grün im Görlitzer Park. Und wenn sich die Feuerwehrmänner in der Feuerwache schräggegenüber von ihrer Wohnung mit freiem Oberkörper in die Sonne setzen, dann fängt für Kerstin Neumann in der Wiener Straße der Sommer an.

Peppi

Peppi ist sozusagen das Maskottchen der Wiener Straße. Er wohnt schon seit Jahrzehnten hier und hat glücklicherweise auch noch einen Mietvertrag aus dieser Zeit Ende der 60er, der von keinem der wechselnden Hausbesitzer je angefochten werden konnte.

Wie so viele Berliner wurde Peppi nicht hier geboren, fühlt sich aber inzwischen trotzdem als Berliner Pflanze. Immerhin kam er schon mit 18 Jahren nach dem Abschluss seiner Kfz-Lehre hierher. Der Fußball war Schuld. Peppi spielte hier unter anderem zusammen mit dem Vater des späteren Bundesliga-Stars Sebastian Deisler. Doch dann beendete ein Sportunfall seine Traumkarriere als Fußballer. Peppi wurde Gleisbauer und arbeitete am Görlitzer Bahnhof, an dem zu jener Zeit aber nur noch Güterzüge aus dem Osten mit billiger Kohle ankamen und entladen wurden. Da Peppi und seine Kollegen tagsüber dort arbeiteten und dadurch sehr gut auskannten, stiegen sie nachts über die Zäune und klauten die Kohle, um sie dann gewinnbringend in der Nachbarschaft zu verkaufen.

Später sattelte Peppi um und stieg in die Gastronomie ein. Zunächst als Kellner, doch irgendwann kaufte er die Kneipe in der Wiener Str. 60, das heutige Restaurant „Morena“. An dieser Ecke gibt es schon seit Jahrzehnten Kneipen jeglicher Couleur, eine davon hieß „Feuchte Welle“ wegen des Spreewaldbades gegenüber. Peppi nannte sein Lokal „Alte Görlitzer“, verkaufte den Laden aber 1989 wieder. Doch als Bewohner blieb er der Wiener treu. Heute sieht man ihn vor allem in der Nähe seiner Wohnung beim „Tiki Heart“, wo er als eine Art gute Seele wirkt. Peppi fühlt sich auch nach wie vor wohl hier, obwohl sich die Wiener in all den Jahrzehnten sehr stark verändert hat. Ihn stört nur, dass hier ständig Demonstrationen abgehalten werden, wie z.B. die jährliche Endkundgebung zum 1. Mai oder Soliaktionen mit besetzten Häusern wie in der Rigaer oder Friedelstr., bei denen es immer wieder zu Krawallen kommt, unter denen vor allem die Bewohner der Wiener Straße zu leiden hätten.

Wiener Straße © radioeins/Lorenzen
© radioeins/Lorenzen

Görlitzer Park

Der Görli – erst Ende der 80er Jahre auf dem Gelände des früheren Görlitzer Bahnhofes als Parkanlage entstanden, ist er trotzdem seit Jahrzehnten umstritten. So sorgte der Pamukkale-Brunnen für große Verstimmung, der nach drei Jahren Bauzeit nicht mal einen Berliner Winter überstand. Und seit über zehn Jahren ist der Park einer der größten Drogenumschlagplätze der Stadt, was keine noch so harte "Null-Toleranz-Politik" ändern konnte. Doch nun gibt es seit gut einem halben Jahr die Parkläufer, die für eine bessere Atmosphäre im Park sorgen sollen.

Einer von ihnen ist Cengiz Demirci. 44 Jahre alt, studierter Arbeits- und Organisationspsychologe und gleichzeitig Parkmanager des Görlis. Cengiz Demircis Eltern sind Türken, er selbst ist in Rheinland-Pfalz aufgewachsen und lebt seit drei Jahren in Berlin-Prenzlauer Berg. Als Parkmanager und Parkläufer hat Cengiz Demirci etwas andere Aufgaben als seine Managerkollegen der anderen Berliner Parks. Als Parkläufer sucht er den Dialog mit den Dealern. Das Dealen kann er nicht unterbinden, aber den Dealern eine Perspektive bieten, eine Ausbildung nahelegen oder zumindest ihr Handeln sozialverträglich beeinflussen: Nichts an Kinder verkaufen und nicht in Horden im Park rumlungern.

Die Arbeit ist mühsam, da die Dealer zu 80 Prozent alle drei Monate wechseln und Cengiz Demirci dann wieder von Neuen anfangen muss. Das bleibt nicht immer ohne Konflikte. Ihm wurde bereits gedroht, dass sein Büro – ein Bauwagen im Görlitzer Park – in Brand gesetzt wird. Cengiz Demirci macht aber weiter. Nächste Aufgabe: Die Käufer, häufig Berliner Partytouristen, vom Kauf abhalten. Denn das Problem bleibt durch zwei Seiten bestehen: Dealer und Käufer.